ohne Makel der Reinheit warst du erfunden;
erfunden als Mutter des Heilandes.
Jungfrau, Gottesmutter, er, den der ganze Erdkreis nicht erfasst,
hat, Mensch geworden, in deinem Schoß geruht.
(Graduale Marienmesse)
In einem heiligen Jugendleben wirkte Maria mit der Gnade; in vollkommener Hingabe schenkte sie Gott all ihre natürlichen, geistigen und leiblichen Kräfte. So erzeigte sie sich würdig der großen Gnadenvorzüge, mit denen Gott sie ausgestattet hatte bei ihrem Eintritt ins Leben. Ob dieses Zusammenwirkens von natürlich menschlichen Kräften und der göttlichen Gnade ist Maria herangereift, den größten und höchsten Gnadenruf zu vernehmen, wie er nie wunderbarer einem Menschen zuteil wurde.
Sie ist aber auch herangereift, auf diesen Gnadenruf eine Antwort zu geben, so wunderbar und groß, dass nie wieder ein Mensch so vollkommen dem Gnadenruf Gottes entsprochen hat. Wir hören den Gnadenruf, wir lauschen auf die Antwort:
Als die Zeit gekommen war, da Gottes Sohn Mensch werden sollte, sandte Gott den Erzengel Gabriel nach Nazareth zur Jungfrau Maria. Der Engel trat bei ihr ein und sprach: "Gegrüßet seist du, voll der Gnaden, der Herr ist mit dir." Sie erschrak über diese Rede und dachte nach, was dieser Gruß wohl bedeute. Wie soll eine zarte Seele nicht erschrecken, bei diesem Gruß aus dem Munde eines solchen Boten? Aber trotz ihres Erschreckens bleibt Maria besonnen; sie überlegt und denkt nach, was der Gruß wohl bedeute.
Der Engel antwortet auf ihr Erschrecken und auf ihre inneren Gedanken. Er ist der Bote Gottes und muss ihr Gottes Botschaft, Gottes Gnadenruf überbringen. Er sprach zu ihr: "Fürchte dich nicht, Maria. Du hast Gnade gefunden bei Gott. Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und der Sohn des Allerhöchsten genannt werden. Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben; er wird in Ewigkeit über das Haus Jakob herrschen, und seines Reiches wird kein Ende sein."
Von Neuem muss Maria überlegen. Sie hat sich ganz Gott geweiht; in reinster, unversehrtester Jungfräulichkeit will sie ihm dienen. Sie sieht noch nicht, wie es möglich sein kann, ihre gelobte Jungfräulichkeit zu wahren und doch diesen Auftrag Gottes, der ihr jetzt zuteil wird, zu erfüllen. Gottes Gnade hat sie zum jungfräulichen Leben berufen; wie kann derselbe Gott ihr jetzt die Mutterwürde übertragen?
In kindlicher Einfachheit und Schlichtheit fragt Maria den Engel: "Wie soll das geschehen, da ich kleinen Mann erkenne?" Der Engel gab ihr zur Antwort: "Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten. Darum wird auch das Heilige, das aus dir geboren wird, Sohn Gottes heißen... Bei Gott ist kein Ding unmöglich."
Nun kann Maria keine Bedenken mehr haben, dass Gott sie ruft und zur Mutter des Erlösers bestimmt. Darin wird die vollkommene Erfüllung ihrer Jugendweihe bestehen. So ist die Mutterwürde eingeordnet in die Weihe ihres Lebens. Noch mehr als bisher, noch auf höhere Weise wird sie sich ganz dem Wirken des Heiligen Geistes zur Verfügung stellen müssen. Maria hört den Gnadenruf; erfüllt ist die Zeit, auf die sie und alle Menschen des Alten Bundes geharrt haben. Nun soll es nur noch von ihr abhängen, dass der Welt das Heil geschenkt wird. Für Maria gibt es kein Überlegen mehr.
Demütiger und einfacher hat wohl nie ein Mensch zu Gott sprechen können, als Maria es jetzt tut, da sie zur Antwort gibt: "Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach Deinem Wort."
Wenn die Welt gewusst hätte, was in diesem Augenblick vor sich ging, sie hätte aufgeatmet, hätte mit eingestimmt in das Jubilieren der Engel und Himmelschöre.
Das größte Wunder ist geschehen: Das Wort ist Fleisch geworden. Gottes Sohn zieht ein in seine menschliche Wohnstatt.
Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes: Jesus.
Wir beten ein Ave Maria und danken der lieben Gottesmutter, dass sie Mutter unseres Erlösers werden wollte:
Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade,
der Herr ist mit dir!
Du bist gebenedeit unter den Frauen
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes: Jesus!
Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder,
jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.
Öffnet eure Tore, ihr Fürsten,
hoch wölbet euch, ihr ewigen Pforten!
Einziehen will der König der Herrlichkeit -
ja, der König der Herrlichkeit!
(Graduale der Marienmesse im Advent)
Gebet:
O Gott! Dein heiliger Engel hat der Jungfrau Maria den Gruß gebracht; denn aus ihrem reinen Schoße sollte dein Wort die menschliche Natur annehmen. Wir glauben freudig an das große Wunder, dass deine Allmacht gewirkt, und danken dir von Herzen. Demütig bitten wir auch, du wollest uns in diesem Glauben stärken und auf die Fürsprache der Mutter Gottes uns immer im Leben deine Hilfe gewähren. Durch denselben Christus, unsern Herrn. Amen.
Maiandachtsbüchlein für Kirche und Haus von Pfarrer Joseph Willmes;
A. Laumannsche Verlagsbuchhandlung Dülmen /Westf.; AD 1935; S. 37-39 (mit kleinen Änderungen); (s. Quellen)