Geliebteste! Die apostolische Lehre ermahnt uns, "den alten Menschen mit seinen Werken abzulegen"(1) und durch einen heiligen Lebenswandel tagtäglich an unserer (2) Erneuerung zu arbeiten. Wenn wir nämlich nach dem Ausspruche des Apostels: "Ihr seid ein Tempel des lebendigen Gottes" (3) ein solcher Tempel Gottes sind und der Heilige Geist in uns wohnt (4) , dann müssen wir mit unermüdlicher Wachsamkeit darauf achten, daß unseres Herzens Wohnstätte eines so hohen Gastes nicht unwürdig ist.
Wie man bei den von Menschenhand erbauten Häusern mit anerkennenswertem Eifer darangeht, jeden durch Eindringen des Regens, durch Sturmwind oder das Alter selbst entstandenen Schaden rasch und sorgfältig auszubessern, so gehört es sich auch, ununterbrochen und ängstlich dafür zu sorgen, daß man in unseren Herzen keinerlei Unordnung und keinerlei Unrat finde.
Freilich kann unser Gebäude nicht bestehen, wenn es nicht an seinem Erbauer eine Stütze hat, kann unser Haus nicht unbeschädigt bleiben, wenn es nicht der schirmt, der es ausführte, aber weil wir "vernunftbegabte Steine" und ein "lebendiges Bauholz" sind (5) , so war es die Absicht unseres Schöpfers, daß jeder mit dem Meister an seiner Erneuerung mitarbeite.
Darum darf sich der Mensch auch nicht bei der Befolgung der göttlichen Vorschriften der Gnade Gottes entziehen oder sich jenes Gutes entsagen, ohne welches sein Gehorsam kein guter sein kann. Und wenn er die Wahrnehmung macht, daß ihm die Erfüllung der Gebote in manchen Stücken unmöglich ist oder große Schwierigkeiten bereitet, so beschränke er sich nicht auf sich selbst, sondern nehme zu seinem Gebieter seine Zuflucht, der ihm deshalb seinen Willen vorschreibt, um in ihm das Verlangen nach Hilfe wach werden zu lassen und diese auch zu gewähren! Sagt doch der Prophet: "Wirf deine Sorge auf den Herrn und er wird dich erhalten!" (6) .
Oder sollte vielleicht einer so keck und anmaßend sein, sich für so unversehrt und unbefleckt halten, daß an ihm nichts mehr erneuert werden müßte? Wer eine solche Überzeugung von sich hegt, der täuscht sich gründlich. Maßlose Eitelkeit beraubt den der Denkkraft, der inmitten der Versuchungen dieses Erdenlebens von jeder Verwundung frei zu bleiben glaubt.
Alles ist voller Gefahren und voller Fallstricke; Ein Stachel sind unsere Begierden und auf der Lauer liegt die Verführung. Alles, was Gewinn bringt, zieht uns in seine Netze, und jeder Verlust erfüllt uns mit Schrecken. Eine bittere Sprache führen unsere Tadler, und auch jene, die uns loben, meinen es nicht immer ehrlich. Auf der einen Seite tobt der Haß, auf der anderen umgarnt uns heuchlerische Ergebenheit, so daß es leichter ist, einen Feind zu meiden, als einem falschen Freunde aus dem Weg zu gehen. (weiterlesen)
1: Eph 4,22; Kol 3,8; vgl.Röm 6,4; Hebr 12,1: 1 Petr 2,1
2: inneren
3: vgl. 1 Kor 3,17
4: ebd 6,19
5: vgl.1 Petr 2,5
6: Ps 54,23; vgl. 1 Petr 5,7
Leo der Grosse († 461); Bibliothek der Kirchenväter, Sämtliche Sermonen (Sermones); Sermo XLIII. 5. Predigt auf die vierzigtägige Fastenzeit (1. Teil)
Bild. Erneuerung; eigenes Foto
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen