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Sonntag, 9. November 2014

Die Wohnung Gottes bei den Menschen und ein Stück Himmel auf Erden

Voll Schauer ist dieser Ort, Gottes Haus ist hier und die Pforte des Himmels;
sein Name ist: Wohnung Gottes. Alleluja, alleluja!
Wie lieb ist Deine Wohnung mir, o Herr der Himmelsheere!
Verlangend nach dem Haus des Herrn verzehrt sich meine Seele! 
(1 Mos 28,17; Ps 83,2f)


Eine Predigt zum Kirchweihfest von P. Bernward Deneke FSSP, hier gepostet aufgrund des heutigen Festes der Weihe der Erzbasilika des allerheiligsten Erlösers (Laterankirche)

Kirchenräume sind vielseitig verwendbar, das beweisen Vorgänge der jüngeren und jüngsten Zeit. Nach der kommunistischen Oktoberrevolution wurden Heiligtümer in Lagerräume, Stallungen für Tiere oder auch in Schwimmbäder verwandelt.

Nicht weniger erfinderisch als die erklärten Glaubensfeinde zeigen sich inzwischen die Christen selbst. Seit einigen Jahrzehnten haben sich die Verantwortlichen deutscher Diözesen dafür entschieden, überzählige Kirchen abzustoßen, zu profanieren und weltlichem Gebrauch zu übergeben. Sie dienen nun als Wohnräume, Arbeitsstätten oder auch als öffentliche Einrichtungen.

Etwas merkwürdig ist es schon, sich an einem Sparkassenschalter daran zu erinnern: „Hier stand einmal der Altar“, oder bei einem festlichen Abendessen auf eine Wand zu blicken, die mit Fresken vom Martyrium der heiligen Kosmas und Damian bemalt ist. Aber der Mensch, auch der Christ, gewöhnt sich an vieles.

Nicht alle Kirchen freilich gehen in weltlichen Gebrauch über. Viele verbleiben in gottesdienstlicher Verwendung, erfahren aber eine Umwidmung und erhalten eine ganz neue Bestimmung. Manche von ihnen werden jetzt als „Erlebnisraum Jugendkirche“ angepriesen. Den jungen Leuten muss etwas geboten werden, damit sie überhaupt eine Kirche betreten. Deshalb liegt es nahe, die weiten Räume, die nicht nur atmosphärisch interessant sind, sondern auch über eine hallige Akustik verfügen, mit Lautsprechern, Lichtorgel und vielleicht sogar Trockennebelanlage zu versehen und zur Diskothek umzufunktionieren. In mehreren deutschen Kirchen hat man noch Kühneres gewagt und einen Hochseilgarten errichtet. Tatsächlich, es muss ein Abenteuer besonderer Art sein, in die Gewölbe einer neuromanischen Kirche hinaufzuklettern und sich dort in lichten Höhen von Seil zu Seil zu hangeln…

Was will uns alles das sagen? Dass man offensichtlich vergessen hat, was eine geweihte Stätte ist. Man hat es nicht erst in der nachkonziliaren Glaubenskrise, auch nicht von der Zeit der Oktoberrevolution an vergessen. Der Verlust des Sinnes für sakrale Stätten ragt weit in die Geschichte der Christenheit zurück. Immer wieder hatten rebellische Theologen und Prediger die Heiligkeit von Räumen grundsätzlich abgelehnt.

Zu ihnen gehörte auch Martin Luther, der nichts von den feierlichen Zeremonien der Kirchweihe hielt und dem es genug war, wenn im gottesdienstlichen Versammlungssaal Anstand und Ordnung herrschte. Alles, was darüber hinausgeht, jede Sakralisierung und Mystifizierung entspreche nicht dem reinen Evangelium, sondern sei eine nachkonstantinische und mittelalterliche Verfälschung, letztlich der Einbruch des Heidentums in die Welt des Glaubens.

Wie Luther denken heute nicht wenige Lehrer der katholischen Theologie. Wenn sie auch nicht mehr laut und provokant auftreten wie die wilden Entsakralisierer der 60er und 70er Jahre, so setzen sie doch deren Marschroute fort. Ihre offensichtlichsten Erfolge erreichen sie dort, wo alte Kirchen umgebaut oder neue errichtet werden.

Das kostenaufwendige Design kann meistens nicht darüber hinwegtäuschen, dass es da nicht in erster Linie um eine würdige Wohnstätte für den allmächtigen Gott geht; nicht um die Ausrichtung auf Seine ehrfurchtgebietende Gegenwart; nicht darum, den Ort des „schauererregenden Opfers“ (um mit manchen Kirchenvätern zu reden) hervorzuheben; auch nicht darum, ein Abbild himmlischer Glorie zu schaffen. Nein, wer den Großteil der kirchenarchitektonischen Umtriebe der Gegenwart verstehen will, der muss andere Kategorien als die des überlieferten katholischen Glaubens und Gottesdienstes bemühen.

Und doch bleibt dieser Glaube und Gottesdienst für uns maßgeblich. Was er über den Sinn sakraler Räume lehrt, ist nicht spätantike oder mittelalterliche, schon gar nicht heidnische Verformung des Evangeliums. Im Alten Testament erfahren wir vom Tempelbau unter König Salomon. Die Herrlichkeit des Herrn nimmt in Gestalt einer Wolke von dem Heiligtum Besitz. Dort werden dem einen wahren Gott Opfer dargebracht, dort wirkt Er Wunderbares.

Von der Liebe zur Zierde des Hauses Gottes, von dem sehnsüchtigen Verlangen, dahin zu ziehen, um vor dem Angesicht des Herrn zu beten, geben die Psalmen beredtes Zeugnis. Jesus aber hat das alles keineswegs für nichtig erklärt und abgeschafft. Nein, in Ihm wurde der Alte Bund erfüllt. Kein Jota und kein Strichlein sind verlorengegangen.

Nach der Zerstörung des Heiligtums Seines irdischen Leibes im Leiden und Sterben hat Christus uns das neue, bleibende Heiligtum Seines verklärten Leibes erbaut. Dieses aber stellten die Christen, sobald es ihnen möglich war, in Kirchenbauten dar. In ihnen lebt Er unter uns. Hier opfert Er sich für uns. Hier nimmt Er unsere Gebete auf und beschenkt uns mit Gnade und Segen. Deshalb erfüllen uns als gläubige Katholiken die Heiligtümer mit Ehrfurcht und Liebe. Deshalb auch ist uns an einem der Sakralität des Ortes entsprechenden Benehmen gelegen. Ja, hoffentlich ist uns daran noch gelegen…

Vor Jahren erlebte ich in der Wallfahrtskirche Pfärrich bei Wangen eine berührende Szene. Zwei Mädchen, das eine im Kommunionalter, das andere noch einige Jahre jünger, traten durch das Hauptportal ein. Nun begann das größere Kind dem kleineren zu zeigen, wie man sich in einer Kirche verhält. Zuerst wurde das Kreuzzeichen mit dem Weihwasser eingeübt, dann die Kniebeuge vor dem Altar und das Niederknien in der Bank. Öfters nahm die Lehrmeisterin dabei den Finger vor die Lippen und gebot ihrer Schülerin Schweigen.

Was da geschah, war keine rein technische Unterweisung; es war eine mystagogische Katechese in praktischer Form. Vielleicht brauchen breite Kreise der Katholiken – von „ganz oben“ bis zum sogenannten einfachen Kirchenvolk – genau dies: ein learning by doing, eine aufmerksame Einübung in das Verhalten an heiliger Stätte, um dadurch auch wieder zu erfassen, was eine Kirche ist?

Als Beichtvater ist man schon ein wenig erstaunt darüber, wie selten sich die Gläubigen, auch die entschiedenen und frommen Gläubigen, heutzutage anklagen, gegen die Stille und Würde im Heiligtum gesündigt zu haben. Das war vor ein, zwei Jahrzehnten noch anders. Man hat aber nicht den Eindruck, seither habe sich das Benehmen in den Kirchen so sehr verbessert. Vielmehr scheint auch glaubenstreuen Katholiken das Bewusstsein für die Heiligkeit des Ortes der Gegenwart und des Opfers des Herrn mehr und mehr abhandenzukommen.

Liebe Gläubige, es wäre wohl zu erwarten gewesen, dass anlässlich des heutigen Weihefestes der Kathedrale zu Augsburg von diesem Gotteshaus, dem Dom Unserer Lieben Frau, gesprochen worden wäre. Von seiner wechselvollen Geschichte, die mindestens ins 8. Jahrhundert, vermutlich aber noch in viel frühere Zeit zurückreicht. Von den imposanten Ausmaßen und der edlen Ausgestaltung. Und von der Bedeutung, welche die Bischofskirche und der dortige Apostelnachfolger für uns hat. Da wir – jawohl, auch wir, Kleriker wie Laien! – aber in der ernsthaften Gefahr sind, die heutige Liturgie der Kirchweihmesse gar nicht mehr zu verstehen, geschweige denn von ihr ergriffen und in unserem Verhalten geprägt zu werden, deshalb diese grundsätzlichen Worte.

Hand auf’s Herz! Kennen wir noch den heiligen Schrecken, von dem der Introitus spricht: „Terribilis est locus iste – Voll Schauer ist dieser Ort; Gottes Haus ist hier und die Pforte des Himmels“? Können wir andererseits den sehnsuchtsvollen Psalmvers desselben Introitus erlebnismäßig nachvollziehen: „Wie lieblich sind Deine Gezelte, Herr der Heerscharen! Es verlangt und verzehrt sich meine Seele nach den Hallen des Herrn“? Deckt sich die Antiphon zum Offertorium mit unserer Einstellung und ist uns daher aus der Seele gesprochen: „Herr, Gott, in meines Herzens Einfalt habe ich alles freudig dargebracht; mit übergroßer Freude sehe ich auch Dein Volk, das hier versammelt ist – Gott Israels, schütze Du diesen Willen“?

Weil die Antwort auf die Fragen vermutlich bei niemandem von uns ein ungetrübtes Ja sein wird, darum tut uns heilige Übung not. Ehrfürchtig-gesammeltes, demütiges und stilles Eintreten in das Gotteshaus. Anbetung des Herrn in Seiner erhabenen und zugleich verborgenen Gegenwart. Und das Bemühen, uns in unserem Inneren dem äußeren Heiligtum anzugleichen, sind wir doch selbst durch die Gnade und den Empfang der Eucharistie lebendige Tempel der Gegenwart Gottes. Nur, wenn wir uns um diese – übrigens zutiefst „marienförmige“, der jungfräulichen Gottesmutter ähnliche – Haltung bemühen, können wir beitragen zu einer Erneuerung der Kirche insgesamt und auch der einzelnen Kirchen.

Ja, dass doch an die Stelle des „Erlebnisraums Jugendkirche“ die ewig jugendliche Stätte des Gebetes und des Opfers trete. An die Stelle der Diskothek der gewaltige Hymnus der irdischen Kirche vereint mit der himmlischen. Und an die Stelle des Hochseilgartens das neue Jerusalem, hinabsteigend vom Himmel und geschmückt wie eine Braut für ihren Bräutigam! Dann wird der, der auf dem Thron sitzt, endgültig sprechen: „Siehe, ich mache alles neu.“


Predigt, gehalten in Wigratzbad zum Weihefest der Basilika zu Augsburg am 28. September 2014 



Lesung aus der Messe zum Kirchweihfest (Offb 21,2-5):
In jenen Tagen sah ich die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat. Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu.


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