Die bewegenden Zeugnisse der Männer des 20. Juli sprechen eine Sprache, die nicht mehr verstanden werden kann, wenn Pflichtbewusstsein mit Untertanengeist gleichgesetzt wird und Ehre mit elitärer Dünkelhaftigkeit, wenn man Toleranz mit regelloser Permissivität verwechselt und patriotische Bindung mit nationalistischer Hybris, wenn Opferbereitschaft in den Ruch des „Fundamentalismus“ gerät und das Nachdenken über das Wirken Gottes in der Geschichte als anachronistische Peinlichkeit erscheint. Denn die politische Tat des Widerstandes, der schwerwiegende, von quälender Gewissensprüfung begleitete Entschluss zum Handeln, ist bei den Widerstandskämpfern des 20. Juli vondiesen Haltungen nicht zu trennen. Wer sie ignoriert oder vergessen will, kann weder begreifen, warum sie handelten, noch ohne argumentative Verrenkungen begründen, was das Gedenken an sie heute – 70 Jahre nach der Tat – noch bedeuten kann.
Stefan Gerber in "Die Tagespost" vom 17.07.2014, S. 9: Vertraute Helden, fremde Helden - Zum Gedenken an die Widerstandskämpfer des 20. Juni1944
Die Frage, ob heute noch Widerstand gegen ein Unrechtsregime, gegen Strukturen der Lüge, zu erwarten wären, muss man sich wohl stellen, denn Tugenden wie Pflichtbewusstsein, eine gesunde Liebe zum Vaterland oder Opferbereitschaft liegen im Moment nicht im Mainstream. Heute lassen sich viele vielleicht nicht mehr vom Nationalsozialismus, dafür aber von anderen, neuen Ideologien blenden - die mittel- und langfristig gesehen nicht weniger menschenverachtend und -entwürdigend sein werden wie dieser - nur vielleicht "leiser" - oder "sanfter". Gender und atheistische Weltanschauungen lassen grüßen. Aber: auch hier wird es so sein, dass es nur einzelne sind, spätere Helden, die die Gefahr nicht nur erkennen, sondern sich auch für die Freiheit und die Würde des Menschen opfern. Hoffen wir, dass es viele sein werden.
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