Die andere Hierarchie
Teil 43
Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997
Fortsetzung von hier
III. Das Verhalten der Bischöfe
Das Kirchenvolksbegehren ist die Quittung für das Versagen der allermeisten Bischöfe. Sie haben zu ihrem Teil durch ihr Tun oder Unterlassen dem Volksbegehren den Weg bereitet. Ihr Widerstand gegen die kirchliche Sexuallehre und ihre Infragestellung des Zölibates sind nur zwei Beispiele ihres Versagens.
Wegen dieser Einstellung verhielten sich die meisten Bischöfe zweideutig oder gar konnivent gegenüber dem Unternehmen. Angeblich äußerten mehrere Diözesanbischöfe, sie könnten das Begehren unterschreiben (13). Der Mainzer Hilfsbischof Eisenbach "äußerte Verständnis für mehrere Punkte des Begehrens" (14). Es wäre aufschlussreich, zu erfahren, wie viele und welche Bischöfe sich mit einzelnen Punkten oder mit der Gesamtheit des Programms der Volksbegehrer identifizieren.
Die Matadore des Kirchenvolksbegehrens haben eine Strategie, d. h. einen Plan, die einzelnen Aktionen für den gesamten Zweck ihres Vorgehens zu gebrauchen. Die deutschen Bischöfe haben keine Strategie; denn die Entschlossenheit, sich wie das Kaninchen vor der Schlange zu verhalten, ist keine Strategie. Die Initiatoren wussten: Wenn die Bischögfe vor etwas Respekt haben, dann sind es Zahlen. Sie haben sich nicht verrechnet.
Die deutschen Bischöfe waren nicht imstande, sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen das Kirchenvolksbegehren zu einigen. Vor allem der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, war unfähig oder unwillig, den Kirchenvolksbegehrern die Antwort zu geben, die von Glaube und Ordnung der Kirche gefordert ist. Sein ständiges Lavieren und Taktieren ermutigte die Gegner.
Lehmann empfing die Initiatoren des Kirchenvolksbegehrens zu einem Gespräch; die Atmosphäre war "angenehm und freundlich", wie seine Pressestelle bekannt gab. Lehmann teilte den Besuchern mit, er habe den Papst über die Unterschriftensammlung unterrrichtet (15). Er sorgte sich also für das Bekanntwerden der Aktion an höchster Stelle. In welcher Absicht geschah dies? Suchte er Unterstützung für eigene Pläne? Lehmann sah in dem Kirchenvolksbegehren "einzelne sehr positive Elemente" (16). Seine Bemerkung bei der Übergabe des Ergenbisses des Volksbegehrens, es habe sich "ein Informations- und Gesprächsbedarf" gezeigt (17), beweist, dass er den Sinn der ganzen Aktion nicht begriffen hat oder nicht begreifen will.
Es geht nicht darum, durch Gespräche Informationen zu erlangen, um etwas besser verstehen zu lernen, sondern es soll auf den Partner so lange eingeredet werden, bis er, ermüdet, die Position der Volksbegehrer übernimmt. Der hier geforderte Dialog besagt nicht das sachliche Gespräch über strittige Gegenstände, sondern Durchsetzung der eigenen verqueren Ansichten.
Lehmann stellte den Unterzeichnern sogar einen Freibrief aus, indem er das Begehren als "weder ehrenrührig noch sanktionsbedürftig" bezeichnete; kirchliche Mitarbeiter, die ihre Unterschrift leisteten, brauchten keine Angst zu haben, sie könnten disziplinarisch belangt werden (18). Für Lehmann ist der Aufstand gegen die Kirche offenbar eine Bagatelle. Wenn er formulierte, viele sähen in dem Kirchenvolksbegehren eine Möglichkeit, "ihre Sorge über die Lage der Kirche zum Ausdruck zu bringen" (19), so war dies eine total verharmlosende Äußerung. Denn nicht Sorge über die Lage der Kirche war das Motiv des Unternehmens, sondern die Absicht, eine andere Kirche an die Stelle der katholischen Kirche zu setzen. Völlig unbegreiflich ist, wenn Lehmann das Kirchenvolksbegehren mit Freiheit der Meinungsbildung in Verbindung brachte (20). Hier wurde doch nicht um Unterrichtung oder gar um Wahrheit gerungen, sondern hier gingen Ideologen aggressiv gegen Lehre und Ordnung der Kirche vor.
Benachbarte Bischöfe verhielten sich wenig anders als Bischof Lehmann. Der Limburger Bischof Kamphaus überließ den Pfarrgemeinderäten die Entscheidung, ob das Kirchenvolksbegehren in kirchlichen Räumen vorbereitet und durchgeführt wird (21). Er unterstützte also den Aufstand gegen die Kirche durch Bereitstellung kirchlicher Gebäude.
Gläubige Christen waren empört über das laue Verhalten der Bischöfe und suchten ihnen ins Gewissen zu reden. Ein Laie bemerkte: "Das Projekt des Kirchevolksbegehrens geht in die falsche Richtung, und es ist Sache der Bischöfe, das den Gläubigen mit aller Klarheit zu sagen und sie aufzurufen zur Umkehr von dem Weg der bürgerlichen Anpassung und Gleichschaltung" (22). Doie Bischöfe dachten nicht daran, zur Umkehr aufzurufen. Robert Spaemann rief den Bischöfen zu: Ihr Hirten erwacht! Sein Zuruf ist ungehört verhallt. Die Hirten erwachen nicht, sie schlafen weiter den Tiefschlaf derer, die entschlossen sind, sich durch niemanden zu Aktion und Reaktion aufrufen zu lassen.
IV. Der Nutzen des Begehrens
Dennoch hatte das Kirchenvolksbegehren einen Nutzen. Seine einzige positive Bedeutung liegt darin, dass es dem, der sehen will, das Ausmaß der innerkirchlichen Zerrüttung offenbar macht. Es ist richtig bemerkt worden, dass das Kirchenvolksbegehren denen, die es bisher nicht bemerkt haben, zeigt, "wie weit die Entchristlichung der Gesellschaft... schon fortgeschritten ist" (23).
1. Katholiken
Weder das äußere Erscheinungsbild noch die innere Wirklichkeit der Kirche bildet noch eine Einheit. Die Glieder der Kirche sind sich weder im Lehrglauben noch in der Sittenlehre mehr einig. Ich stimme der Einschätzung Küngs zu, dass der "allergrößte Teil" der deutschen Katholiken hinter den Forderungen des Kirchenvolksbegehrens stünden (24). Nur ist die Bemerkung dahin zu ergänzen, dass der "allergrößte Teil" der deutschen Katholiken noch viel weitergehende Wünsche hat. Er würde auch zustimmen, wenn die katholische Eucharistielehre zugunsten der zwinglianischen aufgegeben würde.
Niemand täusche sich. Wenn Zölibat, katholische Sexualmoral und Unauflöslichkeit der Ehe fielen, kehrte nicht etwa Ruhe in der Kirche ein. Dann würden andere Gegenstände von Lehre und Ordnung der Kirche in Frage gestellt, etwa die metaphysische Gottessohnschaft Jesu und der dreieinige Gott. Der Bazillus des Demokratismus hat weiteste Teile des katholischen Volkes erfasst. Er besteht, kurz gesagt, darin, dass die Mehrheit Recht habe und dass die Mehrheit über alles zu bestimmen befugt sei.
Legen Sie einmal der Masse der Menschen zwei sittliche Anschauungen über ein und denselben Gegenstand gleichsam zur Auswahl vor. Sie können sicher sein, dass die überwältigende Mehrheit sich für jene Auffassung entscheidet, die sie für bequemer und leichter empfindet.
Mich wundert nicht, dass Hunderttausende, vielleicht Millionen hinter den Forderungen des Kirchenvolksbegehrens stehen, sondern dass es überhaupt noch katholische Männer und Frauen gibt, die dem Sog des Progressismus und des Modernismus, der von den Bischöfen gefördert oder geduldet worden ist, nicht erlegen sind.
2. Priester
Das Kirchevolksbegehren zeigt auch dem, der es noch nicht wusste, wie es in der deutschen Priesterschaft aussieht. Eine hohe Zahl von Priestern hat das Unternehmen aktiv und mit voller Kraft unterstützt. Priester, die Bedenken gegen Inhalt und Form der Aktion hatten, bekamen Schwierigkeiten mit ihrem Pfarrgemeinderat und gaben schließlich nach. An zahlreichen Orten wurden kirchliche Dienste und Räume für die spalterische Kampagne bereitgestellt. In Gottesdiensten und Gottesdiensträumen wurde dafür Propaganda gemacht.
3. Massenmedien
Selbstverständlich stimmten die grundsätzlich kirchenfeindlichen Massenmedien dem Kirchenvolksbegehren zu. Auf eine solche Aktion hatten sie geradezu gewartet. Der "Spiegel" konnte das Programm der Kirchevolksbegehrer bereits angeben, bevor es aufgestellt war (25). Der Erfolg des Kirchenvolksbegehrens spricht nicht für die Qualität seines Inhalts, sondern offenbart die Reichweite des Einflusses der Massenmedien. Das Kirchenvolksbegehren zeigt, wer die Macht in Kirche und Gesellschaft hat; es ist nicht die Hierarchie, sondern es sind die Massenmedien.
(13) FAZ Nr. 216 vom 16. September 1995 S. 5
(14) Glaube und Leben vom 19. November 1995 S. 2
(15) Glaube und Leben Nr. 50 vom 10. Dezember 1995 S. 3
(16) Deutsche Tagespost Nr. 106 vom 5. September 1995
(17) Deutsche Tagespost vom 5. Dezember 1995 S. 4
(18) Allgemeine Zeitung vom 15. September 1995 S. 13 und vom 12. Oktober 1995 S 14
(19) Deutsche Tagespost vom 21. November 1995 S. 4
(20) Deutsche Tagespostvom 4. November 1995 S. 4
(21) Wiesbadener Kurier vom 7. September 1995
(22) Rheinischer Merkur Nr. 46 vom 17. November 1995 S. 26
(23) Deutsche Tagespost Nr. Nr. 150 vom 16. Dezember 1995 S. 15
(24) Allgemeine Zeitung vom 14. November 1995 S. 2
(25) Deutsche Tagespost Nr 123 vom 14. Oktober 1995 S.3
Fortsetzung folgt
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