Die andere Hierarchie
Teil 38
Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997
Fortsetzung von hier
III. Die Frage nach der Legitimation und der Kompetenz
Die Konstruktion des Pfarrgemeinderates, wie sie in den deutschen Diözesen eingeführt ist, bedarf einer grundsätzlichen Prüfung. Es stellt sich die Frage, ob die Pfarrgemeinderäte für die Aufgaben, die ihnen gestellt sind, legitimiert und kompetent sind.
1. Legitimation
Wer andere demokratisch vertreten will, muss ihr Vertrauen haben. Das Vertrauen wird ihm ausgesprochen durch die Wahl. Eine Wahl, an der sich die weit überwiegende Mehrheit der Wähler nicht beteiligt, vermag eine Legitimation nicht zu schaffen.
Wie sieht es nun mit der Beteiligung an den Pfarrgemeinderatswahlen aus? Die Wahlbeteiligung war nie sehr hoch und hat seit der Einführung der Pfarrgemeinderäte kontinuierlich abgenommen. Im Dekanat Mainz beteiligten sich an der Pfarrgemeinderatswahl 1995 lediglich 17,4 Prozent der Wahlberechtigten. Dabei gab es gravierende Unterschiede zwischen den einzelnen Gemeinden. In der Mainzer Pfarrei St. Bonifaz gingen 3,7 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne. Bei den Altersgruppen dominierte die der über 65jährigen (23).
Den Pfarrgemeinderräten fehlt somit die demokratische Legitimation. Wer nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten einer Gemeinde an die Urnen bringt, der darf sich aufgrund einer solchen Wahl nicht als Vertreter der Wahlberechtigten bezeichnen. Wenn 80 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen, bekunden sie ihr Desintersse an dem Wahlvorgang. Gleichzeitig nimmt ihre Wahlenthaltung dem Wahlergebnis jede demokratische Legitimation.
So kommt man um das Urteil nicht herum: Die Pfarrgemeinderäte sind keine Verwirklichung von Demokratie in der Kirche, sondern pseudodemokratische Vertreter der anderen Hierarchie.
2. Kompetenz
Den Pfarrgemeinderäten fehlt sodann überwiegend auch die fachliche Kompetenz. Viele Diözesen sprechen dem Pfarrgemeinderat die Allzuständigkeit zu. Die darin zur Sprache kommenden Fragen sind indes häufig kompliziert und subtil. Die Mitglieder des Rates sind zu ihrer Behandlung weder ausgebildet noch angeleitet. Die Folge ist: Das Feld wird regelmäßig von rhetorisch gewandten Personen beherrscht.Viele Menschen meinen ja, wer reden könne, habe auch etwas zu sagen.
Man kann die Mitglieder der Pfarrgemeinderäte, von Ausnahmen abgesehen, etwas vereinfacht in zwei Gruppen einteilen. Die einen sind theologisch nicht gebildet und wagen daher nicht, zu reden oder Widerstand zu leisten. Die anderen sind theologisch verbildet und fühlen sich deswegen berufen, zu jedem Thema zu sprechen. In beiden Fällen sind gedeihliche Verhandlungen und Beschlüsse nicht zu erwarten.
IV. Aufgaben und Übergriffe
1. Aufgaben
Der Pfarrgemeinderat hat zwei Aufgaben. Einerseits soll er die Seelsorge des Pfarrers in der Gemeinde unterstützen, andererseits soll er die Kirche in der Welt wirksam machen. Der Pfarrgemeinderat soll "die gemeinsame Sendung aller Glieder der Pfarrgemeinde" darstellen. "Im Pfarrgemeinderat sollen sich Pfarrer und Laien über die Angelegenheiten der Gemeinde informieren, gemeinsam darüber beraten und gemeinsame Beschlüsse fassen" (§1 Abs. 1).
Der Rat soll u.a. sich der katechetischen, liturgischen und sozial-caritativen Dienste in der Pfarrgemeinde annehmen, die Verbände, Einrichtungen und Gemeinschaften fördern, sich um die sozialen, ambulanten und stationären Einrichtungen sorgen, das Verantwortungsbewusstsein für die weltkirchlichen Aufgaben und Werke wachhalten, Kontakt zu allen Gemeindemitgliedern suchen, die Katholiken in der Öffentlichkeit vertreten, die ökumenische Zusammenarbeit pflegen und bei der Vermögensverwaltung mitwirken (§1 Abs 2).
Seine Zuständigkeit ist also beinahe unbeschränkt. Er hat nicht nur zu planen und zu beraten, sondern auch durchzuführen und zu leiten. "Der Pfarrgemeinderat ist an der Leitung der Pfarrgemeinde mitbeteiligt, unbeschadet der Pflichten und Rechte der Träger des Priestertums und ihrer Letztverantwortlichkeit als Hirten der Gemeinde" (Präambel). Diese dem Pfarrgemeinderat zugesprochene Mitbeteiligung an der Leitung der Gemeinde ist durchaus ernst gemeint. Der Pfarrgemeinderat hat "das Leben in der Pfarrgemeinde mitzugestalten und Sorge für alle Gemeindemitglieder zu tragen".
2. Übergriffe
Wenn ein Pfarrgemeinderat überhaupt sinnvoll funktionieren soll, muss er sich auf überschaubare Gegenstände lokalen Interesses beschränken.
Ein örtliches Gremium kann nicht Fragen von dogmatischem, moraltheologischem und kirchenrechtlichem Rang entscheiden. Sobald er sich solcher Dinge annimmt, entfernt er sich von dem ihm zugänglichen Bereich. Aber eben dies geschieht in zahlreichen Gemeinden.
Eine Dame schrieb: "In vielen Laien-Gremien opfern gute Christen ihre Freizeit auf, um beinah gebetsmühlenartig über Zölibat, Frauenpriestertum, Pillenverbot und so weiter zu diskutieren" (24). Wache Christen bemerken, dass "in nicht wenigen Kirchengemeinden" die sogenannte Gemeindeerneuerung "nach der Devise Los von Rom mehr oder weniger offen durchgeführt" wird (25).
Die Beschäftigung des Pfarrgemeinderats mit dem Frauenpriestertum ist ebenso eindeutig eine Kompetenzüberschreitung wie die Ausrufung einer atomwaffenfreien Zone durch ein Stadtparlament. Wie das Ergebnis bei der Abstimmung über solche allgemeine Fragen aussieht, ist angesichts des heutigen Meinungsklimas von vornherein klar. Populär ist, was bequem und leicht ist, was keine Mühe kostet und wenig Anstrengung mit sich bringt. Vor allem ist die millionenfach erhärtete Feststellung zu beachten: Die Wahrheit ist den meisten Menschen das Gleichgültigste.
Dementsprechend vollzieht sich die Tätigkeit zahlreicher Pfarrgemeinderäte. Sie laden Personen zu Vorträgen ein, in denen die Kirche, vor allem ihre Sittenlehre, madig gemacht wird. Der Pfarrgemeinderat in Türkheim ließ einen altkatholischen Pfarrer über "Frau im Priesteramt" sprechen (26).
In vielen Pfarreien waren es die Pfarrgemeinderäte oder deren Mitglieder, die das unselige Kirchenvolksbegehren propagierten und unterstützten. Die Priester wurden bedrängt und unter Druck gesetzt, um die Auslegung der Listen in kircheneigenen Räumen oder gar in Gottesdiensträumen zu gestatten oder zu dulden.
Eine Befragung der Pfarrgemeinderäte im Bistum Trier ergab, dass diese mehrheitlich ähnliche Positionen wie das Kirchenvolksbegehren vertreten. 57% wünschen, dass die Kirche ihre Traditionen ernsthaft überprüft, 31% verlangen, dass die Veränderungen schneller durchgeführt werden (27). Die beteiligten Pfarrgemeinderäte haben sich bei dieser Aktion als eine Gefahr für die Kirche erwiesen; sie werden es mit der fortschreitenden Erosion von Christlichkeit und Kirchlichkeit immer mehr werden.
Ein bekannter Herr erzählte mir, der Pfarrgemeinderat habe ihm zur Geburt seines fünften Kindes eine Broschüre überreicht, in der von vier Brüdern und mehreren Schwestern Jesu die Rede ist (28). Wenn Pfarrgemeinderäte irgendwo nützlich und einwandfrei arbeiten, dann liegt das an den Menschen, nicht an dem Modell.
V. Die Dyarchie und ihre Folgen
1. Verfehlte Struktur
Vom Standpunkt der Verfassung der katholischen Kirche ist die Struktur des Pfarrgemeinderates deutscher Prägung unzulässig. Die in den deutschen Diözesen geschaffene Einrichtung des Pfarrgemeinderates begründet in den Pfarreien eine Dyarchie, eine Art Doppelherrschaft.
Es gibt nunmehr zwei Autoritäten in einer Gemeinde, den Pfarrer und den Pfarrgemeinderat. Pfarrer und Pfarrgemeinderat werden wie zwei gleichberechtigte leitende Organe der Pfarrei nebeneinandergestellt, wenn beispielsweise vorgeschrieben wird, dass sie einmal im Jahr zu einer Pfarrversammlung einladen.
Der Pfarrgemeinderat ist das Mittel, die Hauptesstellung des Priesters in seiner Gemeinde einzuebnen. Der Pfarrer unterliegt fast auf dem gesamten Gebiet seiner Tätigkeit der Kontrolle des Pfarrgemeinderates. Es gibt Pfarrgemeinderäte, die ihren Pfarrer wie einen Bediensteten behandeln, der ihren Weisungen nachzukommen hat.
Christa Meves bemerkte richtig, dass "mit Intensität" daran gearbeitet werde, den Priester zu entmachten; sie sprach von "Revoluzzern mit Entthronungsbedürfnissen um der eigenen ... Machtbedürfnisse willen" (29).
Dagegen ist vom göttlichen Recht her Einspruch zu erheben. Die Stellvertretung Christi wird begründet durch den Empfang derf Weihe und die Übertragung der Vollmacht, nicht durch Wahlen und Satzungen. Dem Pfarrer ist die Hirtensorge über seine Pfarrei anvertraut (cc. 515 §1 und 519).
Als eigener Hirt der Gemeinde ist er verantwortlich für die Einheit der Gemeinde, für die Verkündigung und den Gottesdienst. Diese Verantwortung hat er gegenüber Gott und seinem Bischof. Der Pfarrer ist nicht Letztverantwortlicher, sondern Erstverantwortlicher. Es ist unzulässig, den Pfarrer zum Mitglied eines Gremiums zu machen, bei dessen Abstimmungen seine Stimme genauso viel oder wenig gilt wie die Stimmen der übrigen Mitglieder.
Es ist ausgeschlossen, dass das priesterliche Haupt der Gemeinde durch deren angebliche Vertreter zu einem bestimmten Handeln gezwungen werden kann. Eine ganz gefährliche Entwicklung wird eingeleitet, indem bei der Neubesetzung einer Pfarrei ein Pfarrgemeinderat seine Ansichten darüber, wie der neue Pfarrer aussehen soll, eröffnen darf.
Wenn die bischöfliche Behörde den Pfarrgemeinderat fragt, wie er sich den anzustellenden Pfarrer vorstellt, dann liefert sie den Hirten den unerleuchteten Vorstellungen der laikalen Funktionäre aus. Der Pfarrgemeinderat legt sich mit seiner Personenbeschreibung auf ein bestimmtes Bild eines Pfarrrers, häufig auf eine ganz bestimmte Person fest. Falls der Bischof dieser Erwartung nicht entspricht, ist der Konflikt da.
(23) Allgemeine Zeitung vom 14. November 1995 S. 13
(24) Deutsche Tagespost Nr. 120 vom 5. Oktober 1996 S. 2
(25) Deutsche Tagespost Nr. 67 vom 3. Juni 1997 S. 9
(26) Der Fels 28, 1997, 230
(27) Saka-Information 21, 1996, 68
(28) Christine Kowalczyk, Ich bin getauft, Hamburg 1992, 41
(29) Deutsche Tagespost Nr. 28 vom 4. März 1997 S.2
Fortsetzung folgt
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