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Mittwoch, 25. Juni 2014

Prof. Georg May: Die andere Hierarchie - Teil 37: Der Pfarrgemeinderat

Prof. Dr. Georg May

Die andere Hierarchie


Teil 37


Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997


Fortsetzung von hier

§ 12  Der Pfarrgemeinderat

I.  Entstehung

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich in der Kirche eine wunderliche Begeisterung für Gremien und Wahlen ausgbreitet.

In den deutschen Diözesen wurde in allen Pfarreien die Einrichtung von Pfarrgemeinderäten angeordnet (1). Das Konzil selbst hat einen Pfarrgemeinderat nicht vorgeschrieben. Die Würzburger Synode befasste sich entsprechend ihrer Tendenz um so ausführlicher damit (2).

Das kirchliche Gesetzbuch kennt die Möglichkeit, in den Pfarreien einen Pastoralrat mit lediglich beratender Befugnis unter dem Vorsitz des Pfarrers einzurichten. Seine Aufgabe ist die Förderung der Seelsorge (c. 536). Die Pfarrgemeinderäte der deutschen Bistümer sind durch Satzungen geregelt, die unterschiedlich gestaltet sind (3). Im Folgenden kann auf die Verschiedenheiten nicht eingegangen werden. Ich halte mich in erster Linie an die Statuten der Diözese Mainz (4).


II. Struktur

1.  Zusammensetzung

Dem Pfarrgemeinderat gehören drei Gruppen mit Stimmrecht an. Einmal sind Mitglieder kraft Amtes Pfarrer, Kaplan, Ständiger Diakon, Pastoralreferent und der stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrates. Sodann gehören ihm an, von der Gemeinde gewählte Mitglieder, und zwar je nach der Seelenzahl wenigstens vier und höchstens vierzehn. Schließlich können die beiden soeben erwähnten Gruppen weitere Mitglieder hinzuwählen (§2). Der Pfarrgemeinderat hat also Mitglieder kraft Amtes, infolge von Wahl und durch Kooptation. Dazu treten eine Reihe von Personen ohne Stimmrecht, aber mit Antrags- und Mitspracherecht.

2.  Der Vorsitz

In der Diözese Mainz bildet der Pfarrgemeinderat einen Vorstand. Ihm gehören der Pfarrer, der Vorsitzende und zwei Stellvertreter an (§5). Danach ist der Vorsitzende stets ein anderer (oder eine andere) als der Pfarrer.

Dies steht in deutlichem Widerspruch zum Kirchenrecht. Nach c. 536 muss der Pfarrer dem Pastoralrat vorstehen. Der Grund ist darin gelegen, dass der Pfarrer Vorsteher der Gemeinde und Leiter der Seelsorge ist. Die Vorschrift ist verbindlich. "Wo der Pfarrgemeinderat den Charakter des amtlichen Gremiums hat, müsste der Vorsitz dem Pfarrer zustehen" (5).

Doch in Deutschland geht man eigene Wege, die der Etablierung der anderen Hierarchie dienen. Die Gemeinsame Synode empfahl, den Pfarrer nicht zum Vorsitzenden zu machen (6). Die meisten Bistümer schließen dementsprechend den Pfarrer vom Vorsitz aus und behalten ihn einem vom Pfarrgemeinderat gewählten Laien vor. (7).

Nach c. 6 §1 n. 2 tritt dem CIC entgegenstehendes Teilkirchenrecht außer Kraft. Das heißt: Seit dem Geltungsbeginn des neuen CIC sind die entsprechenden Vorschriften in den Satzungen der Pfarrgemeinderäte hinfällig geworden. In Deutschland hat man davon bis jetzt nicht Kenntnis genommen.

3.  Beschluss und Beratung

Der Pfarrgemeinderat wird in dreifach unterschiedener Funktion tätig, in Beratung, in Mitverantwortung und in Entscheidungen.

Die Gemeinsame Synode war der Ansicht, dass der Rat "in allen Fragen, die die Pfarrgemeinde betreffen, je nach Sachbereichen ... beratend oder beschließend mitzuwirken" hat (8). Beraten und beschließen sind zwei sehr verschiedene Funktionen. Doch in manchen Diözesen wird zwischen beratender und beschließender Funktion nicht unterschieden (9).

Der Pfarrgemeinderat ist sowohl Pastoralrat als auch Organ des Laienapostolates. Als Pastoralrat kann er gemäß c. 536 nur beratend tätig sein. Ein Beschlussrecht, wie es den deutschen Pfarrgemeinderäten gegeben ist, ist kein (bloßes) Beratungsrecht. Ein Ratschlag ist kein Beschluss. Die meisten Diözesen unterscheiden zwischen der Tätigkeit als Pastoralrat und als Organ  des Laienapostolats; als Pastoralrat berät und unterstützt er den Pfarrer, als Organ des Laienapostolates wird er in eigener Verantwortung tätig und trifft Entscheidungen (10).

Doch ist es illusorisch, die Bereiche der Pastoral und des Laienapostolats säuberlich trennen zu wollen. Deswegen ist die Unterscheidung zwischen beratender und beschließender Funktion in der Praxis häufig nicht durchführbar. Manche Diözesen unterscheiden zwischen Recht auf Information, Anhörung, Mitwirkung zur Unterstützung des Pfarrers, Zustimmung und Beschlussfassung (11). Die Satzung für Mainz regelt nur die Beschlussfassung, nicht die Beratung (§7).

4.  Das Zustimmungsrecht des Pfarrgemeinderates


Die Satzungen einiger Diözesen statten den Pfarrgemeinderat mit einem echten Beispruchsrecht aus. Das heißt: Der Pfarrer ist gehalten, für mannigfache Entscheidungen die Zustimmung des Pfarrgemeinderates einzuholen, so bei der Gestaltung kirchlicher Festtage und besonderer gottesdienstlicher Feiern, bei Prozessionen und Bitttagen, bei der Ansetzung der Gottesdienstzeiten und der Herausgabe des Pfarrbriefes (12). Dabei gehen einige Diözesen (wie Eichstätt und Speyer) so weit, dass der Pfarrer an die Zustimmung des Pfarrgemeinderates gebunden ist, um handeln zu können (13).

Hier wird die Stellung des Pfarrers als des in Stellvertretung Christi handelnden Hirten unerträglich beschnitten. "Die Handlungsfähigkeit des Pfarrers in seelsorglichen Fragen von der Zustimmung eines Laiengremiums abhängig zu machen, ist mit seiner Stellung als Leiter der Gemeinde und vom Wesen des Pfarramtes her nicht vereinbar" (14). Eine derartige Bestimmung verstößt gegen übergeordnetes Recht und ist daher nichtig.

5.  Das Vetorecht des Pfarrers

Nun ist selbst in der nachkonziliaren Szene das Wissen um die hierarchische Struktur der Kirche nicht völlig untergegangen.

Nach der Gemeinsamen Synode soll der Pfarrer ein Vetorecht haben, wenn er meint, aufgrund seiner Amtsverantwortung gegen einen Antrag stimmen zu müssen. In diesem Fall ist eine Beschlussfassung in derselben Sitzung nicht möglich (15). Es fragt sich, welchen Sinn dieses Widerspruchsrecht haben soll. "Tritt der Pfarrgemeinderat in seiner Funktion als Pastoralrat auf, kann er nur beratend mitwirken. Ein Widerspruchsrecht des Pfarrers kann aber nur sinnvoll sein, wenn der Pfarrgemeinderat ein den Pfarrer bindendes Beschlussrecht hat. Kommt dem Pfarrgemeinderat aber nur das Recht zu, den Pfarrer zu beraten, ist nicht verständlich, wogegen sich der Widerspruch richten soll" (6).

Die Beschränkung der pfarrlichen Leitungsgewalt auf ein Vetorecht wird seiner Hauptesstellung gegenüber der Gemeinde und seiner Verantwortung als eigener (und einziger) Hirt seiner Gemeinde nicht gerecht. Denn dabei schrumpft die Verantwortung des Pfarrers "auf eine dem repressive Aufsichtsrecht ähnliche Befugnis" (17). Der Pfarrer wird hier zu einer Art Geschäftsführer des Pfarrgemeinderates degradiert, der grundsätzlich dessen Beschlüsse auszuführen hat, der aber gelegentlich die Notbremse ziehen darf, wenn der Rat es zu toll treibt.

Das dubiose Vetrecht wird durch mehrere Klauseln noch erheblich eingeschränkt und odios gemacht. Der Pfarrer wird nämlich regelmäßig verpflichtet, seinen Widerspruch zu begründen. "Das ist insofern problematisch, als Kollisionsfälle zwischen der Begründungspflicht und der geistlichen Verschwiegenheitspflicht nicht auszuschließen sind" (18).

Außerdem ist es eine Zumutung, den Hirten gegenüber der Herde rechenschaftspflichtig zu machen. In manchen Diözesen wird die Zulässigkeit des Widerspruchs des Pfarrers gegen Beschlüsse des Pfarrgemeinderates an bestimmte Fristen gebunden. "Eine solche Regelung ist ... mit der Alleinverantwortlichkeit des Pfarrers für die Seelsorge nicht vereinbar" (19). "Die Wahrnehmung von Amtspflichten, über die der Pfarrer nicht frei verfügen kann, darf ... nicht von der Einhaltung von Fristen abhängig gemacht werden" (20).

Wenn der Pfarrer Widerspruch einlegt, wird die anstehende Frage vertagt und ist nochmals zu beraten. Kommt dann wiederum keine Einigung zwischen Pfarrer und Pfarrgemeinderat zustande, ist gewöhnlich ein Schlichtungsverfahren einzuleiten, wonach noch der Bischof eingeschaltet werden kann (21).

Ich verweise auf die Ordnung im Bistum Trier vom 20. März 1995 (22). Danach wird der Pfarrgemeinderat "beratend oder berschließend" tätig. Der Pfarrer ist ein Mitglied des aus drei Personen bestehenden Vorstands. Er kann jederzeit überstimmt werden. Als Vermittler soll der Regionaldekan angerufen werden. Versagt die Vermittlung, kann die Schiedsstelle angerufen werden. Gelingt dieser keine Einigung, entscheidet der Bischof.

Bei diesem Verfahren sind zwei Fragen zu stellen. Einmal ist zu fragen, ob sich ein Pfarrer der demütigenden Prozedur im Falle des Dissenses zwischen ihm und Pfarrgemeinderat stellen mag oder ob er nicht lieber gleich auf die Einlegung des Vetos verzichtet. Sodann ist zu fragen, welche Wunden in einer Gemeinde aufgerissen werden, deren priesterliches Haupt zweimal überstimmt wird und über den Laienfunktionäre triumphieren. Sieht so die "geschwisterliche Kirche" aus?


( 1)  z.B.: Diözese Mainz: Statuten der Pastoralen Räte und Gremien in Pfarrgemeinde, Pfarrverband, Dekanat, Bistum, Mainz 1991
( 2)  Gemeinsame Synode 637-677
( 3)  z.B. Satzung für Pfarrgemeinderäte der Erzdiözese München und Freising vom 1. Dezember 1993 (Amtsblatt für das Erzbistum München und Freising 1994 S. 2-9)
( 4)  Statuten der Pastoralen Räte und Gremien in Pfarrgemeinde, Pfarrverband, Dekanat, Bistum, Mainz 1991
( 5)  Logger, Formen rechtliche Mitwirkung 366
( 6)  Gemeinsame Synode 661
( 7)  Logger, Formen rechtliche Mitwirkung 367
( 8)  Gemeinsame Synode 659
( 9)  Logger, Formen rechtliche Mitwirkung 358
(10)  Logger, Formen rechtliche Mitwirkung 359
(11)  Logger, Formen rechtliche Mitwirkung 360
(12)  Logger, Formen rechtliche Mitwirkung 360f
(13)  Logger, Formen rechtliche Mitwirkung 361
(14)  Logger, Formen rechtliche Mitwirkung 361
(15)  Gemeinsame Synode 664
(16)  Logger, Formen rechtliche Mitwirkung 363
(17)  Logger, Formen rechtliche Mitwirkung 363
(18)  Logger, Formen rechtliche Mitwirkung 364
(19)  Logger, Formen rechtliche Mitwirkung 364
(20)  Logger, Formen rechtliche Mitwirkung 364
(21)  Logger, Formen rechtliche Mitwirkung 365
(22)  Pfarramtsblatt 68, 1997, 208-212


Fortsetzung folgt

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