Die andere Hierarchie
Teil 24
IV. Die Untätigkeit der Oberhirten
1. Ihre Aufgabe
Das
Lehramt hat die Wahrheit zu verkünden, aber auch zu verteidigen. Es hat
die Treue zur Wahrheit einzufordern, aber auch jene zu belangen, die
dieser Forderung nicht nachkommen.
Es ist nicht genug,
die Wahrheit zu sagen, wenn nicht die Irrtümer aufgedeckt und
zurückgenommen werden, lehrt das Konzil von Trient (D.822). Die Aufgabe
des Lehramtes ist auch nicht damit getan, dass es neben falsche Thesen
die rechte Lehre stellt. Seine Pflicht ist vielmehr erst dann erfüllt,
wenn es dafür sorgt, dass die falschen Thesen aus dem Bereich der Kirche
verschwinden.
Das Lehramt hat die Aufgabe und die
Pflicht, gegen falsche Lehren von Theologen einzuschreiten. Wer die
Theologen ohne Aufsicht und Kontrolle reden und schreiben lässt, der
liefert die Offenbarung dem Ruin und die Kirche der Anarchie aus.
Wer
die Falschlehrer gewähren lässt, nimmt hin, dass sie immer mehr
Menschen in die Irre führen und im Glauben verunsichern. Paulus fragt:
"Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert?"
(1Kor 5,6). Wer die Lehre der Kirche bekämpft, löst ihre Gemeinschaft
auf. Eine Kirche, die den Irrtum genauso gewähren lässt wie die
Wahrheit, macht sich selbst überflüssig.
Der Heilige Vater (Anm.: Johannes Paul II.) hat dieserhalb deutlich gesprochen. Er erklärt in der Enzyklika "Veritatis splendor",
dass der Dissens auf dem Gebiet der Sittenlehre "im Widerspruch zur
kirchlichen Gemeinschaft und zum richtigen Verständnis der
hierarchischen Verfassung der Kirche" steht (Nr. 113). Der Papst fordert
auf, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um die Gläubigen vor
Theorien zu schützen, die der kirchlichen Morallehre widersprechen (Nr.
116).
2. Ihr Versagen
Die
deutschen Bischöfe versagen angesichts dieser Verhältnisse fast
gänzlich. Es ist offensichtlich, dass ihr Lehramt seit mehreren
Jahrzehnten schwach, ja ohnmächtig ist.
Es ist nicht
zuviel gesagt, wenn man feststellt: Die Deutsche Bischofskonferenz ist
angesichts der Flut kirchenfeindlicher Äußerungen und Veröffentlichungen
von Theologen in Lethargie versunken. Ich habe von ihr noch nie eine
Einschätzung der theologischen Fakultäten vernommen, die der Lage auch
nur einigermaßen gerecht wird.
Die Bischöfe sind weder
willens noch fähig, den Glauben des katholischen Volkes vor den
verkehrten Aufstellungen verirrter Theologen zu schützen. Gegen Leute
wie Boff, Drewermann und Küng ist niemals die Exkommunikation erklärt
worden, wie sie es verdient hätten und wie es notwendig gewesen wäre.
Und wie steht es um Theologen wie Hubertus Halbfas, Peter Knauer (46),
Vorgrimler, Ohlig? Was haben die Herren Bischöfe getan, um deren
Irrtümer richtig zu stellen und die Verbreitung derselben zu
unterbinden?
Die Bischöfe haben die rechtliche
Möglichkeit, einen Theologen, der einen groben Verstoß gegen seine
Pflichten als Lehrer oder Christ bzw. Priester begeht, von seinem
Lehrstuhl und aus der theologischen Fakultät entfernen zu lassen. Doch
dazu reicht ihre Kraft in der Regel nicht. Sie sehen dem zersetzenden
Treiben der progressistischen und modernistischen Theologen fast ohne
jeden Widerstand zu.
Ich erinnere an den Fall Küng. Die
Kongregation für die Glaubenslehre bestätigte am 15. Dezember 1979,
dass er "von der vollständigen Wahrheit des katholischen Glaubens"
abweiche. Küng würde wahrscheinlich noch heute in Tübingen als Lehrer
der Dogmatik firmieren, wenn der papst nicht persönlich eingegriffen und
wenigstens für seine Entfernung aus der katholisch-theologischen
Fakultät gesorgt hätte. Aber dieser Schritt, der sich in einem
anturömischen Trommelfeuer vollzog, bedeutete nicht viel. Küng nahm
weiter Promotionen und Habilitationen an der katholisch-theologischen
Fakultät Tübingen vor (47). Den Schaden, den dieser eine Theologe der
katholischen Kirche zugefügt hat, ist unermesslich. Kaum einer hat
soviel Schmähungen über die Kirche gehäuft wie er. Von protestantischer
Seite ist ihm bescheinigt worden, dass er praktisch ein Protestant ist
(48). Küng hätte dahin verwiesen werden müssen, wohin er gehört, in den
liberalen Protestantismus.
Zum 68. Geburtstag dieses
Mannes ließ sich die Tübinger katholisch-theologische Fakultät etwas
besonders Sinniges einfallen. Sie forderte nämlich die Rehabilitation
Küngs (49). Rehabilitierung besagt die rechtliche Wiederherstellung des
gesellschaftlichen Ansehens eines Verurteilten. Man kann einen
Verurteilten rehabilitieren, falls sein Verhalten dies rechtfertigt,
wenn er also seine falschen Lehren widerruft und den angerichteten
Schaden wieder gutmacht. Von beidem kann bei Küng auch nicht im Ansatz
die Rede sein. Er erwartet vielmehr das Einschwenken der Kirche auf
seine Position. Aber es ist bezeichnend für den Zustand der Tübinger
Fakultät, dass sie ein derartiges Ansinnen an die Träger des kirchlichen
Lehramtes stellte.
Es kann in der Kirche nicht zwei
Hierarchien geben, eine legale und eine illegale. Es kann in der Kirche
auch nicht zwei Lehrämter geben, ein legitimes und ein angemaßtes. Die
Glieder der Hierarchie und Träger des Lehramtes müssen sich endlich
ermannen und die Herrschaft der Irrlehren in der Kirche brechen. Die
Entscheidungen des Lehramtes, auf die wir seit Jahrzehnten warten,
sollen nicht, wie von Beschützern der Falschlehrer gern vorgebracht
wird, eine redliche Diskussion vorschnell beenden, sondern die endlose
Aneinanderreihung glaubenswidriger Aufstellungen unterbinden.
Es
ist falsch, wenn die Arbeitsgemeinschaft katholischer Dogmatiker und
Fundamentaltheologen erklärt: "Einseitige Thesen und Entwicklungen
können am wirkungsvollstem durch unbehinderte sachliche
wissenschaftliche Diskussion korrigiert werden" (50). Es mag manchmal
vorkommen, dass wissenschaftliches Bemühen theologische Verirrungen
überwindet. Ebenso häufig oder viel häufiger ist jedoch, dass eine
verkehrte Ansicht durch eine andere abgelöst wird. Der Irrtum ist
tausendfältig, die Wahrheit ist nur eine. Den Bischöfen sei ins
Gedächtnis gerufen: "Es gibt Lagen, in denen Schwäche ein Verbrechen
ist" (Albert Hauck).
(46) Walter Hoeres, Der Irrtum der Heiligen. Knauers angstfreies Christentum: Theologisches 27, 1997, 324-329
(47) Heinrich Fries, Theologie im Dienst der Ökumene. Katholische Perspektiven, in: Häring, Kuschel, Hans Küng 297-324
(48) S. B. Ferguson, D.F. Wright (Hrsg.), New Dictionary of Christian Theology, Leicester and Downers Grove 1988, 373f
(49) Häring, Kuschel, Hans Küng 21-25, 234-249 (Kurt Koch), 924-930
(50) Kern, Die Theologie und das Lehramt 234
Übersicht: Zu den bisher erschienenen Fortsetzungen
Siehe auch:
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