Prof. Dr. Georg May
Die andere Hierarchie
Teil 20
Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997
V. Schäden
1. Im Allgemeinen
(...) Von den theologischen Lehrstühlen nimmt das Unheil seinen Lauf.
Priester und Religionslehrer, Pastoralreferenten und Erwachsenenbildner
tragen die falschen Lehren in die Gemeinden. "Echte Propheten haben
manchmal, falsche Propheten haben immer fanatische Anhänger" (Marie von
Ebner-Eschenbach).
Sie verteufeln das Konzil von
Trient, aber verstecken sich hinter dem, was sie als das Zweite
Vatikanische Konzil ausgeben. Sie attackieren erbarmungslos jeden
Bischof, der den Mut hat, der Zersetzung in der Kirche entgegenzutreten,
aber sie berufen sich auf die Bischöfe, die in Königstein die
katholische Sittenlehre verbogen haben.
Sie fallen über
jeden Priester her, der, gelegen oder ungelegen, Gottes Wort verkündigt
und den Gottesdienst gemäß den Vorschriften hält, aber sie weinen
Krokodilstränen über jene korrupten Pfaffen, die es dahin getrieben
haben, dass selbst der nachsichtigste Bischof ihrem Tun nicht länger
zusehen konnte.
Dieselben Leute, die sich sonst nicht
genug daran tun können, gegen die "Amtskirche" zu geifern, rufen
augenblicklich die Amtskirche zu Hilfe, um Personen, Vereinigungn und
Unternehmungen fernzuhalten, die nicht in ihr Konzept passen.
Die
Massenmedien wie Presse, Rundfunk und Fernsehen halten sich fast
ausschließlich an die progressistischen Theologen. Konsequent
katholische Theologen kommen bei ihnen so gut wie überhaupt nicht zu
Worte. Ich selbst habe elebt, wie ich von einem Sender eingeladen wurde,
zu einer bestinmmten Frage zu sprechen, aber alsbald wieder ausgeladen
wurde, als sich in der Vorbesprechung ergab, dass ich den Standpunkt der
kirchlichen Autorität teilte.
Eine wichtige Position in
der anderen Hierarchie nehmen auch die sogenannten Katholischen
Akademien ein. Sie sind, von seltenen Ausnahmen abgesehen, Tummelplätze
von Systemveränderern. Thematik, Teilnehmer und Preisgekrönte zeigen
eindeutig, in welche Richtung hier gearbeitet wird.
Nach
vorsichtigem Urteil wird man für den Bereich der deutschen Sprache
festellen müssen, dass die Mehrheit der Theologen der Kirche Schaden
zufügt und lediglich eine Minderheit Nutzen stiftet. Erzbischof Dyba
sprach von einer "Vergiftung der Atmosphäre in Deutschland" (12). Ihm
ist voll und ganz zuzustimmen.
2. Im Einzelnen
Ich
gebe einige Beispiele für den unermesslichen Schaden, den sogenannte
katholische Theologen am Glauben anrichten. Dem Siegener Theologen Ingo
Broer hat es "nie völlig eingeleuchtet", dass Theologe nur sein kann,
wenn man gläubiger Christ ist. (13). Er hat offensichtlich den
Zusammenhang von Glaube und Glaubenswissenschaft nicht begriffen. (Anm.:
Der Exeget Broer ist Unterzeichner des Memorandums „
Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“.)
a) Die Erklärung der Heiligen Schrift
Von
grundsätzlicher bedeutung ist das, was sich weithin in der sogenannten
kaatholischen Exegese tut. Diese Schriftauslegung ist von ständigem
Misstrauen gegen die Zeugen des Lebens Jesu, die Gemeinde und die
Autoren bzw. Redaktoren der neutestamentlichen Schriften erfüllt.
Sie
betrachtet es als ihre Hauptaufgabe, angeblichen Erdichtungen,
Verbildungen und Fälschungen auf die Spur zu kommen. Was von den
Schrifterklärern als "später" entstanden bzw. eingefügt angesehen wird,
ist regelmäßig verdächtig, unecht oder legendär.
Der
Apostel Johannes ist nicht der Verfasser des vierten Evangeliums. Der
darin erwähnte Lieblingsjünger ist keine historische Person, sondern
"eine fiktive Gestalt, die entsprechend den theologischen
Notwendigkeiten gestaltet ist". Die Texte, die vom Lieblingsjünger
sprechen, sind Fiktion, stammen nicht vom Jünger selbst, der eine
unbekannte Person ist (14).
In dieser sogenannten
Wissenschaft gilt regelmäßig jene Auslegung der Bibel als die
treffendste, die am meisten Abstriche an der geschichtlichen
Wirklichkeit und dem dogmatischen Gehalt macht. Die Ergebnisse des
Wirkens der exegetischen Aufklärer sind verheerend. Alle, die unter
ihren Einfluß gerieten, betrachten die Evangelien als eine Art
Märchenbücher, in denen Phantasien und Interpretamente der Gemeinde
ausgebreitet werden, nicht aber authentische Worte und Machttaten des
Gottessohnes überliefert werden. In dieser Exegese wird den Dogmen der
Kirche der Boden unter den Füßen weggezogen. Der "Großmeister" dieses
Betriebs war der Freiburger Exeget Anton Vögtle (15). Das Heer seiner
Gefolgsleute ist unübersehbar.
b) Die Christologie
Die
Auflösung erfasst an erster Stelle die Gestalt, das Leben und das
Wirken Jesu Christi. Für Ottmar Fuchs ist die Menschwedung des
Gottessohnes ein "Theologumenon" (16). Ein Theologumenon ist "ein Satz,
der eine theologische Aussage macht, die nicht unmittelbar als amtliche
Lehre der Kirche, als zum Glauben verpflichtender Satz des Dogmas
betrachtet werden kann" (17). (Anm.: Der Priester und Pastoraltheologe
Ottmar Fuchs ist Unterzeichner des Memorandums „
Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“.)
Nach
Rupert Lay war Jesus nicht der Messias, sondern erst die Theologie des
Paulus machte aus dem Menschensohn Jesus "den erwarteten Christus, den
Erlöser" (18). In einer fundamentaltheologischen Untersuchung, welche
die Berechtigung des Christentums erweisen will, steht der enthüllende
Satz: "Jesus ist... der göttliche Offenbarer... Er ist nicht mehr als
ein Mensch, sondern mehr Mensch" (19).
Nach Verweyen ist
es ein Bestandteil "der traditionellen, vor-neuzeitlichen Christologie",
zu glauben, dass der irdische Jesus "mit besonderen göttlichen, sprich:
herrscherlichen Qualitäten ausgerüstet" war. Ein solches Verständnis
Jesu ist nach ihm monophysitistisch verklärte Geschichte (20). Diese Art
von Wissenschaft ist nicht imstande, zu klären, ob das Grab Jesu leer
war oder nicht. Nach Rupert Lay kann das Grab auch nicht leer gewesen
sein (21). (Anm.: Dem Priester, Philosophen und Managerberater Rupert
Lay SJ wurde im Jahre 1996 die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen.)
Für
Ohlig sind die Erzählungen vom leeren Grab "narrativ gehaltene
Interpretationen des Osterglaubens unter veränderten kulturellen
Bedingungen und somit für die historische Frage nach der Auferstehung
Jesu nicht verwertbar" (22). Die Berichte von den Erscheinungen des
Auferstandenen "widersprechen sich in so gut wie allen Details". Wenn
sie historisch gemeint wären, "müsste man sie... für absolut
unglaubwürdig halten" (23). Diese Berichte bezeugen nicht etwa das
Sichzeigen des Auferstandenen, sondern lediglich "den Glauben der
jeweiligen Gemeinden und Autoren an den Auferstandenen". Der Glaube wird
also in (erfundene) Erzählungen umgesetzt (24). Jesus hat sein Leiden
nicht angekündigt, sondern die ihm in den Mund gelegten
Leidensankündigungen sind "frühchristliche Bekenntnisformeln" (25).
(Anm.: Der Religionswissenschaftler Karl-Heinz Ohlig leugnet u.a. auch
das Dogma der Dreifaltigkeit Gottes.)
"Historisch
greifbar" sind nach Ohlig weder das leere Grab noch die Erscheinungen
des Auferstandenen, sondern lediglich "der Glaube der Gemeinden und
Redaktoren an die Auferstehung Jesu" (26). "Die Auferstehung bzw. das
Zeugnis über Erscheinungen des Auferstandenen können eine Begründung von
Christologie und Christentum nicht bieten" (27). Die Rede von der
Auferstehung ist "metaphorische Sprache" (28). Metaphorisch heißt
bildlich, übertragen. Die Rede von der Auferstehung geht nach Ohlig
nicht auf ein wunderbares Geschehen, sondern auf irgendeine
Bedeutsamkeit zurück.
Die Jesus gegebenen Prädikate wie
Messias, Menschensohn, Gottessohn und der Auferstandene "sind nichts
anderes als kulturbedingte symbolische Umschreibungen" der "Relevanz"
Jesu (29). Ohlig behauptet, "dass es grundsätzlich in der Geschichte
keinerlei übergeschichtliche Gewissheit geben kann, solange Geschichte
fortdauert" (30). Mit dieser These werden Wirklichkeit und Wahrheit in
gleicher Weise aufgehoben. (Anm.: Karl-Heinz Ohlig leitet noch heute die
Arbeitstelle für Religionswissenschaft an der Universität Saarbrücken.)
c) Die Eschata des Einzelnen
Jeder
Christ, ja jeder Mensch ist brennend daran interessiert, zu erfahren,
welches sein Schicksal nach dem irdischen Tod sein wird. Von den
progressistischen Theologen erhält er darauf Antworten, die dem Glauben
der Kirche widersprechen.
Nach Gisbert Greshake und
Gerhard Lohfink geschieht im Tod des Einzelnen auch die Auferstehung
(31). Die ewige Hölle wird keinem einzigen Menschen zuteil (32). Dies
ist eine totale Verkehrung der christlichen Botschaft. Ihre Konsequenzen
sind klar. Wenn es keine Gefahr gibt, ewig verloren zu gehen, dann
bedarf es keiner Rettung vor dem ewigen Verderben, und das Christentum
als Heilsveranstaltung und Heilsanstalt wird überflüssig.
(12) Saka-Informationen 20, 1995,83
(13) Broer, Der Glaube an die Auferstehung Jesu 51f.
(14)
Joachim Kügler, Der Jünger, den Jesus liebte. Literarische,
theologische und historische Untersuchungen zu einer Schlüsselgestalt
johanneischer Theologie und Geschichte. Mit einem Exkurs über die
Brotrede in Joh 6 (= Stuttgarter Biblische Beiträge 16), Stuttgart 1988,
486 (Anm.: Der Priester und Neutestamentler Joachim Kügler ist Lehrstuhlinhaber an der Universität Bamberg und Unterzeichner des Aufrufs Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch)
(15) Broer, Der Glaube an die Auferstehung Jesu 57
(16) Fuchs, Die mythisch-symbolische Dimension 72
(17) Karl Rahner, Theologoumenon: LThK X, 2. Aufl., 1965, 80
(18) Lay, Nachkirchliches Christentum 125
(19) Perry Schmidt-Leukel, Demonstratio christiana, in: Heinrich Döring, Armin Kreiner, Perry Schmidt-Leukel, Den Glauben denken. Neue Wege der Fundamentaltheologie (= Quaestiones disputatae 147), Freiburg i. Br. 1993, 49-145, hier 132
(20) Verweyen, "Auferstehung" 113
(21) Lay, Nachkirchliches Christentum136f
(22) Ohlig, Thesen 84
(23) Ohlig, Thesen 84
(24) Ohlig, Thesen 84
(25) Ohlig, Thesen 85
(26) Ohlig, Thesen 85
(27) Ohlig, Thesen 90
(28) Ohlig, Thesen 92
(29) Ohlig, Thesen 90
(30) Ohlig, Thesen 91
(31) Gisbert Greshake, Jakob Kremer, Resurrectio mortuorum, Darmstadt 1986
(32) Medhard Kehl, Eschatologie, Würzburg 1986, 295-298; Herbert Vorgrimler, Hoffnung auf Vollendung. Aufriss der Eschatologie (=
Quaestiones disputatae 90), Freiburg i. Br. 1980, 161-163; Gisbert
Greshake, Himmel - Hölle - Fegefeuer im Verständnis heutiger Theologie,
in: derselbe (Hrsg.), Ungewisses Jenseits. Himmel - Hölle - Fegefeer (=
Schriften der Katholischen Akademie in Bayern Bd. 121), Düsseldorf 1986, 79-86