Die andere Hierarchie
Teil 17
Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997
II. Die Ursurpation des Ersatzlehramtes
1. Ansprüche und Forderungen
Neben
und über dem autorisierten Lehramt der Bischöfe hat sich nun seit dem
Zweiten Vatikanischen Konzil das unautorisierte Lehramt der
progressistischen Theologen etabliert.
Es beansprucht
nicht weniger, als die Inhalte der Glaubens- und Sittenlehre, aber auch
der kirchlichen Disziplin zu erheben, und es erwartet von den Bischöfen,
dass sie seinen Vorgaben folgen. Es will nicht etwa bloß den Trägern
des Lehramtes einen technischen Dienst erweisen, es will vielmehr
bestimmen, was sie zu lehren haben. Die Anmaßung dieser Leute geht so
weit, dass sie erwarten, Papst und Bischöfe würden sich von ihnen sagen
lassen, wie die Person Jesu, seine Reden und Taten, sein Tod und seine
Auferstehung zu verstehen seien. Nicht die Schrift, nicht die Tradition,
nicht das Lehramt soll bestimmen, was zu glauben ist, sondern was das
Theologenkartell von der Schrift noch übrig lässt.
Sie
rufen nach Freiheit der Wissenschaft, verwechseln aber diese mit dem
Recht auf unkirchliche Agitation. Die Aufforderung an das Lehramt, seine
Entscheidungen "in argumentativer Weise" vorzutragen und auf "die Macht
der Wahrheit und die Kraft der Argumente" zu vertrauen (3), läuft ins
Leere. Denn einmal wird jedem Argument, welches das Lehramt vorbringt,
ein Gegenargument entgegengestellt, und selbstverständlich finden die
aufsässigen Theologen ihre Argumente stichhaltiger als die Argumente des
Lehramtes.
Sodann ist es mit der "Macht der Wahrheit"
in einem Bereich, welche der Empirie und dem Experiment entzogen ist,
nicht weit her. Die Behauptung, dass sich die Wahrheit des Glaubens aus
eigener Kraft, ohne administrative Maßnahmen, durchsetzt, ist
erwiesenermaßen falsch. Der Irrtum auf Erden ist unbesiegbar. Denn die
Mehrheit der Menschen zieht den bequemen Irrtum der harten Wahrheit vor.
Es trifft auch nicht zu, dass sich die theologische Wissenschaft selbst
korrigiert. Vielmehr tritt ohne das Regulativ des Lehramtes eine
falsche Meinung neben die andere.
2. Verteilung von Gunstbezeugungen
Die
Inhaber des Ersatzlehramtes verteilen ihre Gunst je nach dem Verhalten
der Träger des Lehramtes. Die Bischöfe können auf Nachsicht rechnen,
auch wenn sie sich noch so deutlich als ihrem Amt nicht gewachsen
darstellen, solange sie den Vorgaben des theologischen Establishements
von München bis Münster folgen.
Diese Theologen
vergelten den Bischöfen die Venachlässigung ihrer Pflichten, Aufsicht zu
üben und den Glauben zu schützen, mit der Verleihung des Titels eines
Ehrendoktors der Theologie. Ich verweise auf die Herren Lettmann in
Münster und Wetter in München. Die Träger des Lehramtes stoßen dagegen
sogleich auf unerbittliche Kritik, wenn sie dem Ersatzlehramt nicht
folgen. Erst recht gerät der Papst in dessen Feuer, wenn er unbequeme
Wahrheiten verkündet oder lästige Forderungen erhebt.
In
Deutschland besteht beispielsweise eine regelrechte Ablehnungsfront
gegen die verbindliche Lehre von der geschlechtlichen Sittlichkeit. Das
Ersatzlehramt hat sich gegen das Lehramt durchgesetzt (4) (Anm.: siehe
dazu z. B. auch die Theologenantwort zur Forderung einer "neuen Sexualmoral der Kirche" vom Advent (18.12.) 2013).
Die
Träger des Ersatzlehramtes wissen, dass sie unangreifbar sind, sobald
sie in Massen auftreten. So bedienen sie sich der Zusammenschlüsse und
der Unterschriftenaktionen, um den Trägern des Lehramtes vor Augen zu
führen, was sie zu lehren haben. Von 1965 bis 1993 gab es wenigstens 37
öffentliche Erklärungen katholischer Theologen (5). In fast allen wurde
gegen die Ordnung der Kirche oder gegen Maßnahmen der kirchlichen
Autorität Protest erhoben.
Ein Skandal ersten Ranges war die sogenannte Kölner Erklärung
von 163 aufständischen Theologen im Jahre 1988 (6). Hier wurde der
Öffentlichkeit einmal durch die Masse der Namen vorgeführt, wohin es mit
der katholischen Theologie in Deutschland gekommen ist. Eine
angemessene Reaktion auf dieses unerhörte Papier seitens der
katholischen Hierarchie erfolgte nicht. (Anm.: Ein weiteres Beispiel ist
das Theologen-Memorandum
aus dem Jahre 2011, unterzeichnet von 311 Theologieprofessoren und -professorinnen - davon 240 aus dem
deutschsprachigen Raum -, dem ebenfalls von bischöflicher Seite keine Konsequenzen folgten; im Gegenteil fanden einige der deutschen Bischöfe
in den lehramtswidrigen Forderungen einen legitimen "Dialogbeitrag".)
Die Fortsetzung der Kölner Erklärung mit anderen Mitteln war die Gründung der Europäischen Gesellschaft für katholische Theologie.
Ihre Mitglieder können jederzeit zu ähnlichen Erklärungen aufgerufen
werden. Gesellschaften für katholische Theologie aus mehreren
Kontinenten schlossen sich zu einem internationalen Netzwerk zusammen
(7). Der etwa fällig werdende nächste Protest kann dank dieser
Vernetzung unschwer die ganze Erde erfassen.
(1) Fuchs, Zwischen Wahrhaftigkeit und Macht 183
(2) Norbert Greinacher, Kirchliches Lehramt und Theologen: Theologische Quartalschrift 160, 1980, 139
(3) Kern, Die Theologie und das Lehramt 235
(4) May, Der Glaube der nachkonziliaren Kirche 201-203
(5)
Norbert Greinacher, Cui bono? Über Vergeblichkeit und
Nutzen öffentlicher Erklärungen von Theologinnen und Theologen, in:
Häring, Kuschel, Hans Küng 129-160, hier 136-153
(6) May, Gefahren, die der Kirche drohen 45-48
(7) Herder-Korrespondenz 50, 1996,486
Übersicht: Zu den bisher erschienenen Fortsetzungen
Weiteres zum Thema "Theologie vs Lehramt der Kirche":
- Dreiteilige Predigt nach der Kölner Erklärung von Prof. Dr. Georg May
- 1989 – 2011: Von der ‚Kölner Erklärung’ zum Memorandum ‚Kirche 2011’ von Armin Schwibach
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