Oder: Klare Worte!
Von P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad
Wappen derer von Galen |
In seinem Buch Mere Christianity (dt. Christentum schlechthin) führt uns der geistvolle Ire C.S. Lewis anhand des Wortes gentleman vor, wie sich eine präzise Bezeichnung in eine schwammige Allerweltsvokabel verwandelt: Zuerst hatte das Wort eine klare Bedeutung; es bezeichnete einen Mann, der ein Wappen führte und über Grundbesitz verfügte. Sagte man also von jemandem, er sei ein Gentleman, so war das nicht ein Lob, sondern eine bloße Tatsachenbehauptung, vergleichbar der Feststellung: „Er ist ein Zahnmediziner.“ Sprach man es hingegen einem Mann ab, ein Gentleman zu sein, so stellte das eine ähnlich sachliche Behauptung dar wie heutzutage die, jemand sei kein Zahnmediziner. Man braucht sich ja darüber, ob jemandem die Bezeichnung „Zahnmediziner“ zusteht, nicht zu ereifern; es lässt sich doch nachweisen, ob er eine zahnmedizinische Ausbildung absolviert hat oder nicht. Ebenso konnte man Wappen und Grundbesitz des Gentleman überprüfen.
Eine andere Frage ist freilich ist die, ob die betreffende Person auch ein vorbildlicher Gentleman, ein guter Zahnmediziner genannt zu werden verdient, oder ob sie dem eigenen Stand wenig Ehre bereitet. In diesem Sinne könnte man wohl sagen: „Das ist kein wirklicher Gentleman“, oder: „Dieser Kurpfuscher ist in Wahrheit alles andere als ein Zahnarzt!“ Dennoch wird dadurch die Tatsache, dass jemand der gesellschaftlichen Gruppe der wappenberechtigten Grundbesitzer oder dem Berufsstand der ausgebildeten Zahnmediziner angehört, nicht aufgehoben. Um der Klarheit der Begriffe willen müssen also die nackten Tatsachen und die persönlichen Wertungen auseinandergehalten werden.
Genau diese Regel aber wurde bei dem Wort gentleman eines Tages nicht mehr beachtet. Man begann, dessen genaue Bedeutung aufzuweichen: „Na ja – aber das Ausschlaggebende an einem Gentleman ist doch nicht sein Wappen oder sein Grundbesitz, sondern sein Benehmen. Ist nicht nur der ein wahrer Gentleman, der sich beträgt, wie es eines Gentleman würdig ist?“ Ein nachvollziehbarer Gedanke. Doch er führte dahin, daß nun plötzlich jemand, der im eigentlichen Sinne gar kein Gentleman war, „viel mehr Gentleman“ sein konnte als einer, der tatsächlich über Wappen und Grundbesitz verfügte. C.S. Lewis: „Das Wort gentleman, seiner ursprünglichen, groben, objektiven Bedeutung entkleidet, vergeistigt und verfeinert, bezeichnet kaum mehr als einen Mann, den man persönlich nett und anständig findet. Die Konsequenz: Das Wort gentleman ist heute ein leeres Wort.“
Leider gilt das nicht nur vom Gentleman. Auch andere Begriffe sind im Laufe der Zeit so sehr aufgeweicht worden, dass sie kaum noch im Sinne ihrer eigentlichen Bedeutung gebraucht und verstanden werden. Weil sie nun fast alles besagen können, besagen sie fast nichts mehr. C.S. Lewis weist auf eine ähnliche Entwicklung des Wortes Christ hin. Zum ersten Mal wurde es denjenigen beigelegt, die in Antiochien die Lehre der Apostel annahmen (Apg 11,26). Seither verstand man gemeinhin unter einem Christen einen getauften Menschen, der sich zum christlichen Glauben bekennt.
Jetzt aber verwendet man das Wort ganz unabhängig von seinem ursprünglichen Sinn, ja gelegentlich geradezu gegen ihn. Aus der sachlichen Feststellung ist eine persönliche Wertung geworden. So geißelt man – leider oft nicht ohne Grund – das Betragen gläubiger Christen als „unchristlich“, rühmt aber die „tiefe Christlichkeit“ von Personen, die sich ansonsten von der christlichen Lehre distanzieren.
Nicht mehr das Bekenntnis zum dreifaltigen Gott, zur Menschwerdung des Sohnes, zur Erlösung durch Kreuz und Auferstehung soll dafür maßgeblich sein, dass jemand Christ ist. Vielmehr entscheidet sich das an bestimmten Verhaltensweisen. Und deren Bewertung hängt bekanntlich vom gegenwärtigen Trend ab. So empfindet die öffentliche, besser: die veröffentlichte Meinung inzwischen eine klare, am Zeugnis der Heiligen Schrift orientierte Stellungnahme gegen bestimmte Formen der Unmoral als „intolerant“ und daher „zutiefst unchristlich“. Wer hingegen die Zerstörung der sittlichen Ordnung verständnisvoll hinnimmt, gibt ein Beispiel „christlicher Toleranz“.
Die Gefahren, die von unklaren Begriffen ausgehen, sind nicht zu unterschätzen. Wie alles, was zur Verwirrung beiträgt, sind diese ein geeignetes Werkzeug in den Händen dessen, den die Schrift den diábolos, den „Durcheinanderwerfer“, nennt. Gewiss brauchen wir nicht für die alte Bedeutung von gentleman kämpfen. Aber im Fall des Wortes „Christ“ müssen wir alles tun, dass es nicht zur nichtssagenden, schwammigen Allerweltsvokabel verkommt. Um Christi willen!
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
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