So ähnlich die beiden Wörter klingen, so verschieden ist das, was sie bezeichnen. Fangen wir mit dem zweiten an: Ein Disput bzw. eine Disputation (von lat. disputare = „genau erwägen“, „argumentieren“) ist ein Streitgespräch. In diesem gilt es, mit strenger Sachbezogenheit Beweisgründe für und wider eine bestimmte These vorzutragen und miteinander zu konfrontieren. An der fest umrissenen Fragestellung vorbeizureden oder schwammige Begriffe zu benutzen, wäre eine Verfehlung gegen Gesetz und Würde des Disputes, ein Grund zum Ausschluss. Der Teilnehmer ist also in seiner Kenntnis und in der Beherrschung der Logik gefordert. Ein hohler Schwätzer hat hier ebenso wenig zu suchen wie jemand, der mittels rhetorischer Kniffe Eindruck schinden und überreden will.
Im Mittelalter wurde die Kunst des Disputierens genauen, ausgefeilten Regeln unterworfen. So mussten die Beteiligten jeweils den Standpunkt des Gegners exakt wiedergeben und dann zu den einzelnen Gliedern seiner Argumentation Stellung nehmen. Die Konzentration und Disziplin, die dazu nötig waren, verlangen dem heutigen Menschen, der sich auch bei wichtigen Themen an eine bloß oberflächliche Auseinandersetzung und an das Urteilen „aus dem Bauch heraus“ gewöhnt hat, alle Achtung ab.
Ganz anders als mit dem Disput verhält es sich mit der Diskussion. Zwar legt die Wortherkunft aus dem Lateinischen (discussio wird im Sinne von „Untersuchung“, „Prüfung“ verwendet) ebenfalls eine sachliche Angelegenheit nahe. Tatsächlich aber ist das, was man gegenwärtig unter einer Diskussion versteht, in den meisten Fällen das glatte Gegenteil einer Disputation im beschriebenen Sinne. Da ist jeder zum Mitreden eingeladen, ob er nun viel, wenig oder überhaupt nichts von dem besprochenen Thema versteht. Ja, nicht selten drängt sich der Eindruck auf, die Unwissenheit sei sogar eine für die Teilnahme günstige Eigenschaft, denn wer sich nicht auskennt, der hat auch keine Vorurteile…
Entsprechend frei verfährt man in der Diskussion mit der Fragestellung und der begrifflichen Präzision. Der aufmerksame Zuhörer mancher Talkshow wird feststellen müssen, dass oft völlig an der Sache vorbei geredet wird und dass die Diskutierenden selbst Schlüsselwörter der Auseinandersetzung in ganz unterschiedlichem Sinne auffassen. Wie jedoch soll sich unter solchen Bedingungen beispielsweise ein treuer Katholik mit einem zeitgeistbeflissenen Komiker – wie er inzwischen zum stabilen Inventar entsprechender Gesprächsrunden zu gehören scheint – ernsthaft über fällige Reformen in der katholischen Kirche austauschen können? „Reform“ heißt für beide jeweils etwas völlig Verschiedenes. Wo aber die gemeinsame Basis von Kenntnis, Sachlichkeit und Logik fehlt, da verkommt das Reden zum Gerede, zum Geschwätz und Gequassel.
Bezeichnend für solche Diskussionen ist auch der häufige Themenwechsel. Gerade dann, wenn ein Gesprächspartner Klärung bringen oder einfordern will, springt sein Gegenüber rasch anderswohin. Besonders beliebt ist dabei der Wechsel von der Ebene des Objektiven, Prinzipiellen und Institutionellen auf diejenige subjektiver Erfahrungen . So wendet sich z.B. in einer Podiumsdiskussion zum Thema „Kirche und Menschlichkeit“ ein Katholik folgendermaßen an seinen Gegner: „Sie werfen der Kirche Unmenschlichkeit vor. Doch ist nicht gerade der Einsatz für den Lebensschutz von der Geburt bis zum natürlichen Sterben ein Ausdruck von Lebensbejahung, von tiefster Menschlichkeit? Welche Institution ist denn auf diesem Gebiet vergleichbar konsequent?“ Die Reaktion des Angesprochenen: „Ach, kommen Sie mir doch nicht mit Menschlichkeit! Ich will Ihnen einmal erzählen, was ich vor meinem Kirchenaustritt so alles in meiner Pfarrei erlebt habe…“
Das Evangelium zeigt uns noch eine andere Weise, sich in der Unterredung unangenehmen Folgerungen zu entwinden. Auf die Aussage Jesu, er sei ein König und dazu in die Welt gekommen, um von der Wahrheit Zeugnis zu geben, antwortet Pilatus mit der Frage: „Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,37f.) Hier entzieht sich jemand der ernsthaften Besinnung auf dem Weg einer bequemen Skepsis. Diese macht es möglich, der Verbindlichkeit einer Einsicht zu entschlüpfen und gleichzeitig noch als der Überlegene, der Intelligentere dazustehen. In den Talkshows unserer Tage hat Pilatus viele Nachahmer gefunden.
Übrigens führt die Untersuchung des Wortes „Diskussion“ zu einer Wurzel, die tiefer liegt als die Bedeutung „Prüfung“: Das Verbum discutere heisst „zerschlagen“. Entspricht das nicht unseren Erfahrungen mit Diskussionen, in denen tatsächlich Wahrheit und Klarheit, Lauterkeit und Aufrichtigkeit zerschlagen werden? Welche Wohltat wäre demgegenüber eine echte Disputation!
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
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