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Samstag, 28. Dezember 2013

„Aus dem Vater geboren vor aller Zeit…“ - Die Präexistenz Jesu Christi

Von P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad 

Es ist kein Schaden, sondern überaus nützlich, hellhörige Ohren zu haben. Insbesondere in Belangen des Glaubens, denn der Glaube kommt vom Hören (Röm10,17). Bekanntlich sind Kräfte am Werk, die ihm entgegenwirken. Schlimmer noch als die offenen Feinde sind dabei die falschen Freunde. Sie geben sich christlich und katholisch, zersetzen aber das katholische Christentum. Und um das zu bemerken, bedarf es eines feinen Gespürs. 

Gewiss sollen wir nicht ständig Gefahr wittern und in allen und jedem einen hinterhältigen Angreifer sehen – Gott bewahre uns davor! Doch wenn wir von Glaubensdingen reden hören, dabei aber den unguten Eindruck haben, hier stimme etwas nicht, vielmehr klinge das Gesagte merkwürdig nebulös, schwammig oder doppelsinnig, dann ist es schon angebracht, noch einmal genau hinzuhören. 

Um ein aktuelles Beispiel anzuführen: Eine gewisse Art, sehr engagiert von Jesus zu sprechen, erweckt trotz der begeisterten Worte den Verdacht, unser Herr und Erlöser werde dabei um eine wichtige, ja sogar um die entscheidende Dimension verkürzt. Da heißt es, in diesem Mann aus Nazareth sei uns Gott nahe gekommen wie niemals sonst. Jesus habe Zeugnis von der bedingungslosen Liebe des Vaters zu uns gegeben. Er habe sich radikal auf uns Menschen eingelassen und sei sich und uns darin treu geblieben bis in den Tod. Und so weiter. 

Fragt man etwas nach, so kann es durchaus gelingen, dem Sprecher auch ein Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu zu entlocken: Tatsächlich habe der Mann, von dem die Evangelien handeln, in einer völlig einzigartigen Beziehung zu Gott gestanden. Das zeige sich nicht zuletzt in der Anrede „Abba“, einer Koseform von „Vater“, die tatsächlich auf den historischen Jesus zurückgehe und Ihm nicht – wie andere der neutestamentlichen Aussprüche – erst nachträglich in den Mund gelegt worden sei. Daher sei es legitim, von Jesus als vom Sohn Gottes zu sprechen. 

Dürfen wir uns aber mit dieser Auskunft zufriedengeben und die Zweifel an der Rechtgläubigkeit für zerstreut halten? Das wäre allzu vorschnell. Zwar könnte das Gesagte notfalls und mit viel Bemühen irgendwie richtig verstanden werden, doch ist es für den, der Klarheit sucht, wenig hilfreich. Er wittert nicht zu Unrecht Gefahr für den Christusglauben; denn die einzigartige Beziehung zu Gott, die sich in der „Abba“-Anrede ausdrücken soll, ist noch keineswegs das, was das Neue Testament und mit ihm die Kirche von unserem Herrn bezeugt. Auch jeder zutiefst gottverbundene Heilige steht ja in einer einmaligen Beziehung zum Allerhöchsten und spricht Ihn zuweilen mit liebevoller Innigkeit an. Doch könnten wir über einen solchen Menschen auch die Worte des altkirchlichen Glaubensbekenntnisses sagen, er sei „aus dem Vater geboren vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“? Mit Sicherheit nicht. 

Genau darin aber liegt das Geheimnis Jesu beschlossen: dass Er nicht erst im Augenblick der jungfräulichen Empfängnis im Leib Mariens entstand, sondern schon vorher lebte. Wie sonst wären Seine eigenen Worte zu verstehen: „Vater, verherrliche Du mich jetzt bei Dir mit der Herrlichkeit, die ich bei Dir hatte, bevor die Welt war“ (Joh 17,5)? Wie könnte das Johannesevangelium sagen, niemand habe Gott je geschaut, nur der Eingeborene, der im Schoß des Vaters ruht, habe uns die Kunde von Ihm gebracht (Joh 1,18)? Und welchen Sinn hätte der Beginn dieses Evangeliums, der davon spricht, dass Er, der Logos, im Urbeginn als Gott bei Gott war (Joh 1,1)? 

Die Bezeugungen der sogenannten Präexistenz Christi, d.h. des Seins, das Er vor der Menschwerdung als zweite Person der göttlichen Dreifaltigkeit hatte, sind keineswegs nur bei Johannes zu finden. Auch der Philipperbrief spricht davon, Christus, der in Gottesgestalt war, habe an Seinem Gottgleichsein nicht wie an einem Raub festgehalten, sondern sich entäußert und sei ein Mensch geworden (Phil 2,6 f.). Als Abglanz der Herrlichkeit des Vaters und Abbild Seines Wesens bezeichnet Ihn der Hebräerbrief (1,3) und führt in Übereinstimmung mit dem Johannesprolog und vielen anderen Stellen aus, dass durch Ihn alles geschaffen wurde (vgl. z.B. 1 Kor 8,6 und Kol 1,15-20). Wie aber sollte Jesus die Welt ins Dasein gerufen haben, wenn Er erst in ihr zu sein begonnen hätte? 

Der Glaube kommt vom Hören (Röm 10,17). Inmitten des wilden Stimmengewirrs ist es daher besonders nötig, sich ein feines und genaues Gehör zu entwickeln; einen Spürsinn, der die Verkürzungen, Verdrehungen und Entstellungen des Glaubens nahezu instinktiv erkennt und uns im Zweifelsfall die richtigen Fragen stellen lässt. Beispielsweise die Frage nach der Präexistenz des Gottessohnes vor aller Zeit in der Herrlichkeit des Vaters. Nur wer diese rückhaltlos bejaht, ist ein gläubiger Christ.



 Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)





Bild: Dreifaltigkeit; Lucas Cranach der Ältere (1472–1553)

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