Dienstag, 5. November 2013

Prof. G. May: Die andere Hierarchie - Teil 5: Die Lage (1)

Prof. Dr. Georg May

Die andere Hierarchie

Teil 5


Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997



II.  Die Lage

1.  Fakten

Der Heilige Vater (Anm.: d. i. im Jahre 1997: Johannes Paul II.) ist rastlos tätig, vor allem mit Reden und Reisen. Beides macht ihn als Bischof der katholischen Kirche präsent, und dafür ist ihm zu danken.

Von einer kraftvollen und entschiedenen Regierung der Gesamtkirche ist jedoch wenig zu spüren. Es ist eine offenkundige Tatsache, dass der Heilige Vater oft und immer wieder vor Pressionen, die von Ortskirchen ausgingen, zurückgewichen ist. Ich nenne einige Beispiele.

Wider bessere Einsicht ließ sich Paul VI. von Kardinal Döpfner die unselige Handkommunion abtrotzen (3). Man sagte damals, es gehe lediglich um eine disziplinäre Anordnung. In Wirklichkeit stand und steht das Übergehen von der kniend empfangenen Mundkommunion zur stehend empfangenen Handkommunion in engem Zusammenhang zum Glauben. Es sei darum noch einmal ausgesprochen: Die Handkommunion hat sich durchgesetzt, weil der Glaube an den vollen Inhalt des eucharistischen Opfersakramentes bei der großen Mehrheit der Christen zusammengebrochen ist. Ihre Beibehaltung ist ein Element des weitergehenden Abbaus des katholischen Glaubens betreffend das allerheiligsten Sakrament des Altares.

Die sogenammte Würzburger Synode hatte im Januar 1973 die Predigt von Laien in der Eucharistiefeier grundsätzlich gutgeheißen (Die Beteiligung der Laien an der Verkündigung Nr. 3) (4). Im gleichen Jahre 1973 gewährte der Heilige Stuhl den deutschen Bischöfen das Indult, bei der hl. Messe in "außerordentlichen Fällen" die Predigt durch Laien halten zu lassen. (5). Dies geschah, obwohl nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Predigt "ein Teil der liturgischen Handlung" (Sacrosanctum Concilium Nr. 35) ist. Derselbe Priester, der das Opfer Christi darbringt, soll auch die Botschaft des Herrn dem versammelten Volk darbieten. Deswegen ist nicht jeder, der Theologie studiert hat, befähigt, das Wort Gottes zu verkündigen, sondern nur jener, der in der Weihe die besondere Teilhabe am dreifachen Amt Christi erhalten hat (Presbyterorum ordinis Nr. 1).

Das kirchliche Gesetzbuch ist wieder zu gesunden Grundsätzen zurückgekehrt. Die Predigt von Laien in der hl. Messe ist verboten (c. 767). In vielen deutschen Pfarreien schert sich niemand um dieses Verbot. Die Laienpredigt ist zur Regel geworden. Ein Laie fragte: "Wessen Aufgabe ist es eigentlich, dafür zu sorgen, dass solche Anordnungen beachtet werden? Oder haben wir in Deutschland jetzt so etwas wie eine 'Nationalkirche', die sich von Rom abgekoppelt hat und nach eigenen Gesetzen lebt?" (6)

Das Messbuch Pauls VI. kannte lediglich männliche Ministranten (7). Viele Geistliche in Deutschland hielten sich nicht an dieses Gebot und führten weibliche Ministranten ein; die Bischöfe sahen, mit einer einzigen Ausnahme, duldend oder wohlwollend zu. Schließlich wurde, wie so oft, der Missbrauch vom Apostolischen Stuhl sanktioniert, diesmal auf dem Wege einer dubiosen authentischen Interpretation des c. 230 CIC (8). Der Theologe Fries wies triumphierend darauf hin, dass der Heilige Stuhl sich anfangs gegen Ministrantinnen ausgesprochen habe, als sie in Deutschland schon zum gewohnten Erscheinungsbild gehörten, dass sie aber heute "auch im Gefolge des Papstes" auftreten (9).

Das Ökumenische Direktorium vom 14. Mai 1967 (10) ließ interkonfessionelle Gottesdienste am Sonntag nicht zu. Allzu deutlich sind die Gefahren, die von solchen Veranstaltungen ausgehen. Sie sind geeignet, den Rang des Messopfers herabzustufen und die Verpflichtung zum sonntäglichen Messbesuch in Vergessenheit geraten zu lassen.. Doch die protestantischen Religionsverbände und die katholischen Ökumeniker gaben keine Ruhe und gingen gegen das Verbot sonntäglicher ökumenischer Gottesdienste an.

Wiederum gab der Heilige Stuhl nach. Im Ökumenischen Direktorium vom 25. März 1993 (11) ist aus dem Verbot ökumenischer Gottesdienste am Sonntag ein bloßes Abraten von solchen geworden (Nr. 115). Es ist sicher, dass die ökumenisch Beflissenen sich nicht abraten lassen. Die Folgen dieses Einbruchs werden nicht lange auf sich warten lassen. Rang und Wert des hl. Messopfers werden verdunkelt, die Stellung des katholischen Priesters wird eingeebnet, das Gebot, am Sonntag eine hl. Messe mitzufeiern, wird ausgehöhlt.

Das Zweite Vatikanische Konzil kennt nur Priester als für die Ausbildung der Priesterkandidaten geeignete Personen (Optatam totius Nr. 5). Der Heilige Stuhl hat nach dem Konzil angeordnet, dass in theologischen Fakultäten die Professoren für gewöhnlich Priester sein sollen (12). Nichtpriester sollten nur ausnahmsweise zum Lehramt in einer theologischen Disziplin zugelassen werden (13). Diese Vorschrift bleibt in steigendem Maße unbeachtet. Im Fachbereich Katholische Theologie an der Universität Mainz ist das Verhältnis umgekehrt. Acht Nichtgeweihten stehen fünf Priester gegenüber, von denen vier über sechzig Jahre alt sind.

Der Heilige Stuhl hat sich die Entscheidung, ob jemand zum Theologieprofessor auf Lebenszeit ernannt werden kann, vorbehalten (14), und das ist richtig, ja notwendig; denn die Lehre eines Theologieprofessors geht die gesamte Kirche an und wird auch, wenn er über die entsprechende Lobby verfügt, in der gesamten Kirche bekannt gemacht.

Es gibt Fälle, in denen dem Heiligen Stuhl die lehrmäßige Unzuverlässigkeit deutscher Theologiedozenten bekannt war und er die Unbedenklichkeitserklärung nicht geben wollte, er aber durch die massive Intervention deutscher Bischöfe in die Knie gezwungen wurde. Er erteilte das Nihil obstat, und das vorhergesehene Verhalten der betreffenden Professoren trat prompt ein. Wenn der Heilige Stuhl wider Erwarten einmal fest bleibt, erhebt sich sogleich der Protest.

Als der Frankfurter Theologe Siegfried Wiedenhofer nicht das Nihil obstat zur Übernahme eines Lehrstuhls in Graz erhielt, trugen 205 Theologieprofessoren gegen dieses Vorgehen bei den deutschsprachigen Bischöfen Einwände vor (15).

Bischof Lehmann behauptete, "Kirchenleitungen" hätten "vielleicht eine gewisse Neigung zum Misstrauen" und überschätzten auch negative Phänomene. Die lehramtlichen Instanzen sollten bei der Erteilung der Unbedenklichkeitserklärung für Theologen nicht "zu engherzig oder kleinlich" vorgehen (16). Mit dieser Äußerung kann Lehmann nur auf den Heiligen Stuhl zielen. Angesichts der skandalösen Verhältnisse in der deutschen Theologenschaft sind derartige Bemerkungen völlig unangebracht. Sie dienen folglich dazu, die Herrschaft falscher Lehren noch fester zu etablieren.



(3)   Georg May, Die sogenannte Handkommunion. Ein Beitrag zur Praxis der kirchlichen Rechtsetzung in der Gegenwart ( = Schriftenreihe der Una Voce - Deutschland Heft 5/1970), 1.-3. Aufl., Berlin 1970
(4)   Gemeinsame Synode 175f
(5)   Amtsblatt für das Erzbistum München und Freising Jg. 1974 S. 295-298
(6)   Deutsche Tagespost Nr. 24 vom 15. Februar 1997 S. 15
(7)   Missale Romanum ex Decreto Sacrosancti Oecumenici Concilii Vaticani II instauratum Auctoritate Pauli Papae VI promulgatum. Editio typica, Vatikanstadt 1971, 45 Nr. 70
(8)   Wolfgang Waldstein, Eine "authentische Interpretation" zu can. 230 §2 CIC: Archiv für katholisches Kirchenrecht 163, 1994, 406 - 422. Vgl. Ludger Müller, Authentische Interpretationen - Auslegung kirchlicher Gesetze oder Rechtsfortbildung?: Archiv für katholisches Kirchenrecht 164, 1995, 353 - 375, hier 372f
(9)   Glaube und Leben Nr. 47 vom 19. November 1995 S. 10
(10)  Acta Apostolicae Sedis 59, 1967, 574-592
(11)  Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Direktorium zu Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 110), Bonn 1993
(12)  Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis, Editio apparata post Codicem Iuris Canonici promulgatum vom 19. März 1985, Rom 1985, Nr. 33
(13)  Dekret der Kongregation für das katholische Bildungswesen vom 20. April 1972 (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Heft 9, 2. erg. Aufl., Bonn 1971, 59)
(14)  Apostolische Konstitution "Sapientia Christiam" vom 15. April 1979 Art. 27 §2 1979 Art. 19 §1 (Acta Apostolicae Sedis 71, 1979, 500 - 521, hier 505)
(15)  Glaube und Leben Nr. 42 vom 20. Oktober 1996 S. 2



Fortsetzung folgt in unregelmäßigen Abständen

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