II. Die Lage
1. Fakten
Der
Heilige Vater (Anm.: d. i. im Jahre 1997: Johannes Paul II.) ist
rastlos tätig, vor allem mit Reden und Reisen. Beides macht ihn als
Bischof der katholischen Kirche präsent, und dafür ist ihm zu danken.
Von
einer kraftvollen und entschiedenen Regierung der Gesamtkirche ist
jedoch wenig zu spüren. Es ist eine offenkundige Tatsache, dass der
Heilige Vater oft und immer wieder vor Pressionen, die von Ortskirchen
ausgingen, zurückgewichen ist. Ich nenne einige Beispiele.
Wider
bessere Einsicht ließ sich Paul VI. von Kardinal Döpfner die unselige
Handkommunion abtrotzen (3). Man sagte damals, es gehe lediglich um eine
disziplinäre Anordnung. In Wirklichkeit stand und steht das Übergehen
von der kniend empfangenen Mundkommunion zur stehend empfangenen
Handkommunion in engem Zusammenhang zum Glauben. Es sei darum noch
einmal ausgesprochen: Die Handkommunion hat sich durchgesetzt, weil der
Glaube an den vollen Inhalt des eucharistischen Opfersakramentes bei der
großen Mehrheit der Christen zusammengebrochen ist. Ihre Beibehaltung
ist ein Element des weitergehenden Abbaus des katholischen Glaubens
betreffend das allerheiligsten Sakrament des Altares.
Die
sogenammte Würzburger Synode hatte im Januar 1973 die Predigt von Laien
in der Eucharistiefeier grundsätzlich gutgeheißen (Die Beteiligung der
Laien an der Verkündigung Nr. 3) (4). Im gleichen Jahre 1973 gewährte
der Heilige Stuhl den deutschen Bischöfen das Indult, bei der hl. Messe
in "außerordentlichen Fällen" die Predigt durch Laien halten zu lassen.
(5). Dies geschah, obwohl nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil die
Predigt "ein Teil der liturgischen Handlung" (Sacrosanctum Concilium Nr. 35)
ist. Derselbe Priester, der das Opfer Christi darbringt, soll auch die
Botschaft des Herrn dem versammelten Volk darbieten. Deswegen ist nicht
jeder, der Theologie studiert hat, befähigt, das Wort Gottes zu
verkündigen, sondern nur jener, der in der Weihe die besondere Teilhabe
am dreifachen Amt Christi erhalten hat (Presbyterorum ordinis Nr. 1).
Das kirchliche Gesetzbuch ist wieder zu gesunden Grundsätzen zurückgekehrt. Die Predigt von Laien in der hl. Messe ist verboten (c. 767).
In vielen deutschen Pfarreien schert sich niemand um dieses Verbot. Die
Laienpredigt ist zur Regel geworden. Ein Laie fragte: "Wessen Aufgabe
ist es eigentlich, dafür zu sorgen, dass solche Anordnungen beachtet
werden? Oder haben wir in Deutschland jetzt so etwas wie eine
'Nationalkirche', die sich von Rom abgekoppelt hat und nach eigenen
Gesetzen lebt?" (6)
Das Messbuch Pauls VI. kannte lediglich männliche Ministranten
(7). Viele Geistliche in Deutschland hielten sich nicht an dieses Gebot
und führten weibliche Ministranten ein; die Bischöfe sahen, mit einer
einzigen Ausnahme, duldend oder wohlwollend zu. Schließlich wurde, wie
so oft, der Missbrauch vom Apostolischen Stuhl sanktioniert, diesmal auf
dem Wege einer dubiosen authentischen Interpretation des c. 230 CIC
(8). Der Theologe Fries wies triumphierend darauf hin, dass der Heilige
Stuhl sich anfangs gegen Ministrantinnen ausgesprochen habe, als sie in
Deutschland schon zum gewohnten Erscheinungsbild gehörten, dass sie
aber heute "auch im Gefolge des Papstes" auftreten (9).
Das
Ökumenische Direktorium vom 14. Mai 1967 (10) ließ interkonfessionelle
Gottesdienste am Sonntag nicht zu. Allzu deutlich sind die Gefahren, die
von solchen Veranstaltungen ausgehen. Sie sind geeignet, den Rang des
Messopfers herabzustufen und die Verpflichtung zum sonntäglichen
Messbesuch in Vergessenheit geraten zu lassen.. Doch die
protestantischen Religionsverbände und die katholischen Ökumeniker gaben
keine Ruhe und gingen gegen das Verbot sonntäglicher ökumenischer
Gottesdienste an.
Wiederum gab der Heilige Stuhl nach.
Im Ökumenischen Direktorium vom 25. März 1993 (11) ist aus dem Verbot
ökumenischer Gottesdienste am Sonntag ein bloßes Abraten von solchen
geworden (Nr. 115). Es ist sicher, dass die ökumenisch Beflissenen sich
nicht abraten lassen. Die Folgen dieses Einbruchs werden nicht lange auf
sich warten lassen. Rang und Wert des hl. Messopfers werden verdunkelt,
die Stellung des katholischen Priesters wird eingeebnet, das Gebot, am
Sonntag eine hl. Messe mitzufeiern, wird ausgehöhlt.
Das Zweite Vatikanische Konzil kennt nur Priester als für die Ausbildung der Priesterkandidaten geeignete Personen (Optatam totius Nr. 5).
Der Heilige Stuhl hat nach dem Konzil angeordnet, dass in theologischen
Fakultäten die Professoren für gewöhnlich Priester sein sollen (12).
Nichtpriester sollten nur ausnahmsweise zum Lehramt in einer
theologischen Disziplin zugelassen werden (13). Diese Vorschrift bleibt
in steigendem Maße unbeachtet. Im Fachbereich Katholische Theologie an
der Universität Mainz ist das Verhältnis umgekehrt. Acht Nichtgeweihten
stehen fünf Priester gegenüber, von denen vier über sechzig Jahre alt
sind.
Der Heilige Stuhl hat sich die Entscheidung, ob
jemand zum Theologieprofessor auf Lebenszeit ernannt werden kann,
vorbehalten (14), und das ist richtig, ja notwendig; denn die Lehre
eines Theologieprofessors geht die gesamte Kirche an und wird auch, wenn
er über die entsprechende Lobby verfügt, in der gesamten Kirche bekannt
gemacht.
Es gibt Fälle, in denen dem Heiligen Stuhl
die lehrmäßige Unzuverlässigkeit deutscher Theologiedozenten bekannt war
und er die Unbedenklichkeitserklärung nicht geben wollte, er aber durch
die massive Intervention deutscher Bischöfe in die Knie gezwungen
wurde. Er erteilte das Nihil obstat, und das vorhergesehene Verhalten
der betreffenden Professoren trat prompt ein. Wenn der Heilige Stuhl
wider Erwarten einmal fest bleibt, erhebt sich sogleich der Protest.
Als
der Frankfurter Theologe Siegfried Wiedenhofer nicht das Nihil obstat
zur Übernahme eines Lehrstuhls in Graz erhielt, trugen 205
Theologieprofessoren gegen dieses Vorgehen bei den deutschsprachigen
Bischöfen Einwände vor (15).
Bischof Lehmann
behauptete, "Kirchenleitungen" hätten "vielleicht eine gewisse Neigung
zum Misstrauen" und überschätzten auch negative Phänomene. Die
lehramtlichen Instanzen sollten bei der Erteilung der
Unbedenklichkeitserklärung für Theologen nicht "zu engherzig oder
kleinlich" vorgehen (16). Mit dieser Äußerung kann Lehmann nur auf den
Heiligen Stuhl zielen. Angesichts der skandalösen Verhältnisse in der
deutschen Theologenschaft sind derartige Bemerkungen völlig
unangebracht. Sie dienen folglich dazu, die Herrschaft falscher Lehren
noch fester zu etablieren.
(3) Georg May, Die sogenannte Handkommunion.
Ein Beitrag zur Praxis der kirchlichen Rechtsetzung in der Gegenwart ( =
Schriftenreihe der Una Voce - Deutschland Heft 5/1970), 1.-3. Aufl.,
Berlin 1970
(4) Gemeinsame Synode 175f
(5) Amtsblatt für das Erzbistum München und Freising Jg. 1974 S. 295-298
(6) Deutsche Tagespost Nr. 24 vom 15. Februar 1997 S. 15
(7)
Missale Romanum ex Decreto Sacrosancti Oecumenici Concilii Vaticani II
instauratum Auctoritate Pauli Papae VI promulgatum. Editio typica,
Vatikanstadt 1971, 45 Nr. 70
(8) Wolfgang Waldstein, Eine
"authentische Interpretation" zu can. 230 §2 CIC: Archiv für
katholisches Kirchenrecht 163, 1994, 406 - 422. Vgl. Ludger Müller,
Authentische Interpretationen - Auslegung kirchlicher Gesetze oder
Rechtsfortbildung?: Archiv für katholisches Kirchenrecht 164, 1995, 353 -
375, hier 372f
(9) Glaube und Leben Nr. 47 vom 19. November 1995 S. 10
(10) Acta Apostolicae Sedis 59, 1967, 574-592
(11) Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Direktorium zu Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 110), Bonn 1993
(12)
Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis, Editio apparata post
Codicem Iuris Canonici promulgatum vom 19. März 1985, Rom 1985, Nr. 33
(13)
Dekret der Kongregation für das katholische Bildungswesen vom 20. April
1972 (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Heft 9, 2. erg. Aufl.,
Bonn 1971, 59)
(14) Apostolische Konstitution "Sapientia
Christiam" vom 15. April 1979 Art. 27 §2 1979 Art. 19 §1 (Acta
Apostolicae Sedis 71, 1979, 500 - 521, hier 505)
(15) Glaube und Leben Nr. 42 vom 20. Oktober 1996 S. 2
Fortsetzung folgt in unregelmäßigen Abständen
- Teil 1: Die Existenz der Hierarchie
- Teil 2: Der Unterschied zwischen Klerus und Laien
- Teil 3: Die Hierarchie - Das Weihesakrament
- Teil 4: Der Heilige Stuhl - Die Lehre
- Teil 5: Der Heilige Stuhl - Die Lage (1)
- Teil 6: Der Heilige Stuhl - Die Lage (2)
- Teil 7: Die Bischöfe - Rechtliche Stellung
- Teil 8: Die Bischöfe - Versagen
- Teil 9: Die Rede von der "Mitte" und von der Polarisierung
- Teil 10: Der Ungehorsam gegenüber dem Vicarius Christi
- Teil 11: Das Rätesystem auf der Ebene des Bistums - Der Priesterrat
- Teil xy: Die Pfarrbeauftragten (v. a. am Beispiel Bistum Limburg)
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