§ 2 Der Heilige Stuhl
I. Die Lehre
1. Die päpstliche Gewalt
Der
Papst ist das sichtbare Haupt der Kirche. Er vertritt den Herrn Jesus
Christus als Haupt seines Leibes. Er ist der Hirt der Gesamtkirche.
Er
besitzt einen wahren und eigentlichen Vorrang der Vollmacht gegenüber
der ganzen Kirche. Seine Gewalt ist wirklich bischöflich, allgemein,
ordentlich, unmittelbar, die höchste und volle. Sie erstreckt sich auf
alle Gläubigen und alle Glieder der Hierarchie. Er kann sie jederzeit
frei ausüben (c. 331). Die primitiale Gewalt fordert Unterordnung und
Gehorsam in der Glaubens- und Sittenlehre, in der Regierung und Ordnung
der Kirche. Gegen das Urteil des Papstes gibt es keine Berufung an eine
irdische Instanz (c. 333 §3). Er besitzt die Unfehlbarkeit, wenn er als
Hirt und Lehrer aller Gläubigen mit höchster apostolischer Vollmacht
eine Glaubens- und Sittenlehre vorlegt, die von der gesamten Kirche zu
halten ist (c. 749 §1).
2. Die päpstlichen Hilfs- und Stellvertreterorgane
Als bewährtes Beratungsorgan steht dem Papst das Kardinalskollegium
zur Seite. Darin sind der Idee nach die befähigten Persönlichkeiten aus
der gesamten Kirche versammelt, deren sich der Papst zur Vorbereitung
und Durchführung seiner Entschlüsse bedienen kann (cc. 349 - 359). Doch
die beratende Tätigkeit der Kardinäle als Kollegium ist fast völlig zum
Erliegen gekommen. (1).
Bei der Regierung der Kirche bedient sich der Papst der Römischen Kurie.
Darunter ist die Gesamtheit der Verwaltungsbehörden und Gerichte zu
verstehen, die ihn bei der Leitung der Kirche unterstützen (cc. 360 -
361). Sie handeln im Namen des Papstes zum Wohl und zum Dienst aller
Kirchen. Die Kurie ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil erheblich
aufgebläht worden. Zahlreiche neue Einrichtungen sind zu den bestehenden
hinzugekommen. In die Kongregationen wurden Diözesanbischöfe als
Mitglieder aufgenommen. Dass sich der Papst der Loyalität aller
Mitarbeiter nicht mehr sicher sein kann, ist spätestens bei dem Fall
Kempf offenbar geworden.
Als Bischof der Gesamtkirche
hat der Papst das angeborene und unabhängige Recht, zu den Teilkirchen
in aller Welt und zu den Staaten Gesandte zu senden (c. 362), die ihn
vertreten (c. 363). Ihre hauptsächliche Aufgabe ist darin gelegen, die
Bande der Einheit zwischen dem Apostolischen Stuhl und den Teilkirchen
fester und wirksamer zu machen (c. 364). Zu diesem Zweck ist es
erforderlich, dass die Nuntien wahrheitsgetreue Berichte nach Rom
schicken; schönfärberische Informationen können verheerende Folgen
haben. Die Entwicklung der Losreißung Englands von der katholischen
Kirche im 16. Jahrhundert bietet eine Fülle von Beispielen für falsche
Beurteilung der Lage in England durch den Heiligen Stuhl infolge eines
heillosen Optimismus.
3. Die Bischofssynode
Seit
dem Zweiten Vatikanischen Konzil gibt es die Einrichtung der
Bischofssynode (cc. 342 - 348). Sie ist kein Bestandteil der Römischen
Kurie, sondern dem Papst unmittelbar zugeordnet. Sie ist ein weiteres
Beratungsorgan des Papstes und tritt insofern in Konkurrenz zum
Kardinalskollegium und der Römischen Kurie.
Die
Bischofssynode wird regelmäßig alle zwei Jahre einberufen. Zusammen mit
ihrem Generalsekretariat und dessen Rat gewinnt sie damit beinahe
Dauercharakter. Die Einrichtung der Bischofssynode ist ebenso überflüssig
wie gefährlich. Sie verdankt ihr Entstehen der Forderung der Bischöfe,
aufgrund eines nebulösen Begriffs des Bischofskollegiums an der
Regierung der Gesamtkirche beteiligt zu werden. Die Lage ist
einigermaßen grotesk. Die Bischöfe, die überwiegend vor der Aufgabe
versagen, ihre Diözesen, in denen es drunter- und drübergeht, wohltätig
und rechtmäßig zu regieren, mengen sich in Angelegenheiten der
Weltkirche, für die sie kein Mandat haben.
Die
Bischofssynode bietet vor allem aufmüpfigen Bischöfen eine Plattform,
mit Thesen an die Weltöffentlichkeit zu treten, die gegen Ordnung und
Lehre der Kirche gerichtet sind. Beispiele dafür sind zahlreich (2). Die
zahlreichen Versammlungen der Bischofssynode in den letzten drei (Anm.:
nunmehr fünf) Jahrzehnten haben nichts zur Besserung der Lage in der
Kirche beigetragen. Sie haben viele Glieder der Hierarchie mit nutzlosen
Gesprächen aufgehalten und umfangreiche Papiere erzeugt, die in der
Praxis weitgehend unbeachtet bleiben oder scharf kritisiert wurden.
Keine einzige Tagung der Bischofssynode war imstande, die nachkonziliare
Katastrophe, die alle Gebiete des kirchlichen Lebens erfasst hat, auch
nur angemessen zu beschreiben. Immer wieder wurden nur einzelne Symptome
herausgegriffen, die sogleich wieder in Beschwichtigungen verpackt
wurden. Krisensitzungen, in denen die Gründe der Krise nicht aufgedeckt
werden, sind überflüssig.
(1)
Georg May, Ego N.N. atholicae Ecclesiae Episcopus. Entstehung,
Entwicklung und Bedeutung einer Unterschriftsformel im Hinblick auf den
Universalepiskopat des Papstes ( = kanonistische Studien und Texte Bd.
43), Berlin 1995, 528.
(2) Z. B.: Georg May, Das Priestertum in der nachkonziliaren Kirche 100.
Fortsetzung folgt in unregelmäßigen Abständen
- Teil 1: Die Existenz der Hierarchie
- Teil 2: Der Unterschied zwischen Klerus und Laien
- Teil 3: Die Hierarchie - Das Weihesakrament
- Teil 4: Der Heilige Stuhl - Die Lehre
- Teil 5: Der Heilige Stuhl - Die Lage (1)
- Teil 6: Der Heilige Stuhl - Die Lage (2)
- Teil 7: Die Bischöfe - Rechtliche Stellung
- Teil 8: Die Bischöfe - Versagen
- Teil 9: Die Rede von der "Mitte" und von der Polarisierung
- Teil 10: Der Ungehorsam gegenüber dem Vicarius Christi
- Teil 11: Das Rätesystem auf der Ebene des Bistums - Der Priesterrat
- Teil xy: Die Pfarrbeauftragten (v. a. am Beispiel Bistum Limburg)
Predigten von Prof. Georg May: bitte hier klicken!
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