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Samstag, 5. Oktober 2013

Entweltlichung und Weltoffenheit (II)

Von P. Bernward Deneke  FSSP, Wigratzbad

(Fortsetzung von hier)

Um den Zusammenhang von Entweltlichung und Weltoffenheit, den Papst Benedikt in seiner Freiburger Ansprache herstellt, begreifen zu können, mögen wir uns an bestimmte Gestalten des christlichen Mönchtums erinnern. Beispielsweise an das Starzentum der Ostkirche. Unter einem Starez versteht man einen Mann, der durch das klösterliche und einsiedlerische Leben gegangen ist und es im Zusammenwirken mit der Gnade bis zu einem hohen Maß an Gottverbundenheit und Weisheit gebracht hat. Nach langer Zeit der Zurückgezogenheit haben solche Starzen oft ihre bislang streng verschlossenen Klausen für die Menschen geöffnet, die dann auch, nahezu magisch angezogen, mit ihren vielfältigen Anliegen und Nöten zu ihnen kamen – gläubige und fromme Christen ebenso wie Laue und Fernstehende. Manche Starzen wurden, ohne das freilich zu erstreben, zu berühmten Beratern mit erheblichem Einfluss in der Welt. 

Weshalb? Wegen der besonderen Nähe ihres Lebens zur „Lebenswirklichkeit“ ihrer Zeitgenossen? Nein, vielmehr aus dem gegenteiligen Grund: Weil diese Männer in ihrer kompromisslosen Abwendung von der weltlichen Welt und ihrer Hinwendung zur höheren Welt von selbstsüchtigen Interessen derart frei geworden waren, dass sich die Menschen bei ihnen ganz sicher aufgehoben wussten. Hier fühlten sie sich nicht anders betrachtet als mit dem untrüglichen, doch unendlich wohlwollenden Blick des Herrn, hier fanden sie sich umfangen von einem reinen Vaterherzen nach dem Herzen Gottes. 

So bringt also gerade die Entweltlichung des Starez, seine Loslösung von allen menschlich-allzu-menschlichen Vorstellungen und Beweggründen, in ihm eine besondere Weltoffenheit hervor und macht den geheimnisvollen Austausch möglich, bei dem er die Sorgen und Leiden der Menschen gleichsam übernimmt und ihnen dafür den wahren Frieden schenkt. Von einem solchen commercium sprach denn auch Benedikt XVI. in seiner „Entweltlichungsrede“: einem „Tausch zwischen Gott und den Menschen (...), in dem beide – wenn auch auf ganz verschiedene Weise – Gebende und Nehmende, Schenkende und Empfangende sind.“ Die Kirche sei in diesen Vorgang als Werkzeug einbezogen, da sie den „heiligen Tausch, der mit der Menschwerdung begonnen hat“, weiterführen und gegenwärtig halten solle, indem sie die Sorgen der Menschen, ja der ganzen erlösungsbedürftigen Welt teile und sie sich erlösend zu eigen mache. 

Offensichtlich denkt sich Papst Benedikt die heilige Kirche eher gleich einem Starez als einem Coach, der mit allen Wassern der Weltlichkeit gewaschen ist, deshalb aber auch nicht mehr denn Diesseitiges zu geben vermag. Ähnlich dem Mönch würde die Kirche ihre göttliche Sendung verfehlen, wenn sie „sich in dieser Welt einrichtet, selbstgenügsam wird und sich den Maßstäben der Welt angleicht“, wenn sie „Organisation und Institutionalisierung größeres Gewicht als ihrer Berufung zur Offenheit“ gibt. Daher die nötige „Anstrengung (...), sich von der Weltlichkeit der Welt zu lösen“, treu dem Wort Jesu: „Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin“ (Joh 17,16). Nicht zuletzt die Geschichte zeigte für Benedikt XVI. die Richtigkeit der Einsicht: „Das missionarische Zeugnis der entweltlichten Kirche tritt klarer zutage“; sie „kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben.“ 

Solche Haltung wollte der Papst keineswegs als „eine neue Taktik“ verstanden wissen, „um der Kirche wieder Geltung zu verschaffen“, entsprechend der zutreffenden Einsicht, dass die Welt einer Kirche, die ihr nicht mehr den Rücken zukehrt, alsbald ihren eigenen Rücken zukehren wird... Eine entweltlichte Kirche, die in ungebrochener Treue an der Wahrheit und der anspruchsvollen Moral der göttlichen Offenbarung festhält, wird ja für die Anhänger des Zeitgeistes zwangsläufig ein weitaus größeres Ärgernis sein als die verweltlichte Kirche; ein Ärgernis, ähnlich dem des Kreuzes, das gerade in seiner völligen Überwindung der Welt die größte Öffnung der Liebe Gottes zu ihr hin bedeutet. 

Jeder gläubige Christ wird zustimmen: Lieber das Skandalon der Entweltlichung als die Skandale der Verweltlichung, namentlich die Verdrehung der Glaubens- und Sittenlehre, der Abfall von Priestern und Ordensleuten, die Spektakel und Greuel an Heiliger Stätte, der Kindsmissbrauch durch Geistliche und die kirchlich vertriebene Pornographie! Lieber eine Starez-Kirche, die durch ihre Hinwendung zu Gott allen Suchenden offensteht, um ihnen in Lauterkeit und Heiligkeit die ewigen Wege zu weisen, als eine verdiesseitigte Kirche, die ihre Identität den aktuellen Strömungen opfert und mit ihrer aufgedonnerten Organisationstätigkeit doch nur geistliche Konkursverwaltung betreibt! 



Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS) 


Papst Franziskus zur "Entweltlichung" der Kirche:

„Sie (Anm. die Kirche) muss sich heute einer sehr ernsten Gefahr entkleiden, die jede Person in der Kirche bedroht, alle: die Gefahr der Weltlichkeit. Der Christ kann nicht mit dem Geist der Welt zusammenleben. Mit einer Weltlichkeit, die uns zur Eitelkeit führt, zur Anmaßung, zum Hochmut. Und das ist ein Götze, das ist nicht Gott. Es ist ein Götze. Und die Götzendienerei ist die stärkste Sünde. (...)
 
Es wäre wirklich lächerlich, wenn ein Christ, ein wahrer Christ, wenn ein Priester, eine Ordensfrau, wenn ein Bischof, ein Kardinal, wenn der Papst auf diesem Weg der Weltlichkeit gehen wollten, was ein mörderisches Unterfangen wäre. Die geistliche Weltlichkeit tötet. Sie tötet die Seele! Sie tötet die Personen! Sie tötet die Kirche!“


Papst Franziskus am 04.10.2013 in Assisi im "Raum der Entkleidung des hl. Franziskus von Assisi" (Quelle: "Die Tagespost" am 05.10.2013)



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