Wenn der Mensch nur an sich selber denkt, an die eigenen Interessen, und sich in
den Mittelpunkt stellt, wenn er sich von den Götzen der Herrschaft und der Macht
betören lässt, wenn er sich an die Stelle Gottes setzt, dann zerstört er alle
Beziehungen, richtet er alles zugrunde und öffnet der Gewalt, der
Gleichgültigkeit und dem Konflikt Tor und Tür.
Genau das will der Abschnitt aus
dem Buch Genesis, in dem der Sündenfall des Menschen geschildert wird, uns
begreifen lassen: Der Mensch gerät in Konflikt mit sich selbst, bemerkt, dass er
nackt ist, und versteckt sich, weil er Angst hat (vgl. Gen 3,10) – Angst vor dem Blick Gottes. Er beschuldigt die Frau, die doch Fleisch von
seinem Fleisch ist (vgl. V. 12); er zerbricht die Harmonie mit der Schöpfung und erhebt schließlich die Hand
gegen seinen Bruder, um ihn zu töten. Können wir das als einen Übergang von der
Harmonie zur „Disharmonie“ bezeichnen? Können wir das sagen, dass man von der
Harmonie zur Disharmonie übergeht? Nein, es gibt keine „Disharmonie“: Entweder
herrscht Harmonie, oder man fällt ins Chaos, wo Gewalt, Streit,
Auseinandersetzung und Angst herrschen. (...)
Nach dem Chaos der Sintflut hat es aufgehört zu regnen, ein Regenbogen
erscheint, und die Taube bringt einen Olivenzweig. Ich denke heute auch an jenen
Olivenbaum, den wir mit den Vertretern der verschiedenen Religionen im Jahr 2000
in Buenos Aires auf der Plaza de Mayo gepflanzt haben mit der Bitte, dass nie
wieder Chaos sei, mit der Bitte, dass kein Krieg mehr sei, mit der Bitte um
Frieden.
Und an diesem Punkt frage ich mich:
Ist es möglich, den Weg des Friedens
einzuschlagen? Können wir aus dieser Spirale des Schmerzes und des Todes
aussteigen? Können wir wieder lernen, mit unseren Schritten die Wege des
Friedens zu verfolgen?
Indem ich unter dem mütterlichen Blick des „Salus
popoli romani“, der Königin Friedens, die Hilfe Gottes anrufe, will ich
antworten: Ja, es ist für alle möglich! Heute Abend möchte ich, dass wir von
allen Enden der Erde aus rufen: Ja, es ist möglich für alle! Mehr noch: Ich
möchte, dass jeder von uns – vom Kleinsten bis zum Größten, bis hin zu denen,
die berufen sind, die Nationen zu regieren – antwortet: Ja, wir wollen es!
Mein
christlicher Glaube drängt mich, auf das Kreuz zu schauen. Wie wünschte ich mir,
dass für einen Augenblick alle Menschen guten Willens auf das Kreuz schauten!
Dort kann man die Antwort Gottes ablesen: Dort wurde auf die Gewalt nicht mit
Gewalt reagiert, auf den Tod nicht mit der Sprache des Todes geantwortet. Im
Schweigen des Kreuzes verstummt das Getöse der Waffen und kommt die Sprache der
Versöhnung, des Verzeihens, des Dialogs und des Friedens zu Wort. Ich möchte
heute Abend den Herrn bitten, dass wir Christen und die Brüder und Schwestern
der anderen Religionen, alle Menschen guten Willens mit Nachdruck rufen: Gewalt
und Krieg sind niemals der Weg des Friedens!
Papst Franziskus in der Homilie am 07.09.2013 bei der vierstündigen Gebetswache für den Frieden in Syrien und in der ganzen Welt
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