Samstag, 14. September 2013

Am Ende der Spaßgesellschaft?

9/11 am 10/10

Wir erinnern uns noch gut an die Ereignisse des 11. September 2001. Damals stand die Weltöffentlichkeit unter Schock. Es herrschte Einigkeit: „Nichts ist mehr so, wie es vorher war. Also kann es auch nicht weitergehen wie bisher.“ Weite Zustimmung fand die Formulierung des Schriftstellers Peter Scholl-Latour, der vom „Ende der Spaßgesellschaft“ sprach. Und der christliche Journalist Peter Hahne konnte mir seinem Buch „Schluss mit lustig. Das Ende der Spaßgesellschaft“ eine beachtliche Leserschaft erreichen.

„Spaßgesellschaft“ – diese Wortprägung hat die vorangegangenen Ausdrücke „Konsumgesellschaft“ und „Freizeitgesellschaft“ abgelöst. Insgesamt ist dasselbe Phänomen gemeint, doch „Spaßgesellschaft“ bringt die Sache besser auf den Punkt. „Freizeit“ konnte noch im Sinne des lateinischen „otium“ als „Muße“ verstanden werden, also als Freiraum für geisterfüllte und -erfüllende Betätigung und Kontemplation. „Spaß“ hingegen ruft ganz andere Gedanken wach. „Was wollen sie? Sie wollen: to live and to have a fun, gut leben und ihr Späßchen haben. Man wird Euch damit bedienen; mit Nahrung und Freizeitgestaltung, mit Kalorien und Kinos“, notierte schon in den Nachkriegsjahren der Staatsdenker Carl Schmitt.

Seit dem 11. September 2001 sollte die Spaßgesellschaft nun also am Ende sein. Beinahe hätte man es glauben können. Die perfekt inszenierte Betroffenheit über das Vorgefallene und die wirkliche Angst vieler vor neuem Terror raubte für Momente den Appetit auf spassige Häppchen. Aber wenig später war alles wieder wie gehabt. Der oberflächliche Schrecken war vergeklungen, die Verdrängungsmechanismen vertrieben die tiefersitzende Angst von der Bildfläche, das gewohnten Bedürfnis nach Fun behauptete sich neu. Dass dabei auch wirtschaftliche Interessen mit im Spiel waren, wer wollte das bezweifeln?

Also blieb alles beim Bisherigen. Zwar wurde und wird die Spaßgesellschaft gelegentlich durch spektakuläre Ereignisse, zuletzt die Bankenkrise, kurzzeitig in eine Angstgesellschaft verwandelt; denn Angst lauert ja unter der ach so lebenslustigen Oberfläche, stets bereit, zu gegebenem Anlass hervorzubrechen. Doch die räumliche und zeitliche Entfernung von katastrophalen Einbrüchen wirkt sich lindernd aus: Solange man nur andere, nicht sich selbst gefährdet sieht, findet man die Ruhe leicht wieder, und ansonsten heilt ja die Zeit alle Wunden. 

Welche Alternative hält der christliche Glaube dem Schaukeln zwischen Spass- und Angstgesellschaft entgegen? Und was sollte die Kirche als wirksame Therapie verkündigen? Dass sie auf den Plan gerufen ist, und zwar nicht als Komplizin der Spaßgesellschaft, sondern als Künderin der Wahrheit und des Heils, das ist ja klar. Doch mit welcher Botschaft?

Es kommen uns als Gegenentwurf zur Spaßgesellschaft vielleicht Ausdrücke wie „Zivilisation der Liebe“ oder – weniger klangvoll, dafür konkreter - „Verantwortungsgesellschaft“ in den Sinn. Der Nachteil solcher Entwürfe: Sie wollen die gegenwärtige Gesellschaft durch eine idealere ersetzen und müssen dafür den vielbeschworenen „Wandel des öffentlichen Bewußtseins“ bemühen. Doch wo lässt sich in den letzten Jahrzehnten ein allgemeiner Trend nach oben feststellen? Er gehört dem Wunschdenken, nicht der Realität an.

Soziale Utopien passen ohnehin nicht zu einer Religion, die um die Verwundung der Menschennatur weiß, an die Erlösung durch den Gekreuzigten glaubt und von Ihm allen Segen erhofft. Es mag ja sein, dass man heute sogar innerkirchlich als Ketzer abgestempelt wird, wenn man weniger auf den Dialog zwischen den Religionen als vielmehr auf die Kraft der Wahrheit und der Gnade setzt. Aber so entspricht es nun einmal der Heiligen Schrift: Noch immer ist den Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, in dem sie gerettet werden könnten, als der Name Jesus (vgl. Apg 4,12). Daran wird sich auch zukünftig nichts ändern.

Weil sie realistisch ist, wendet sich die Kirche weniger an „die Gesellschaft“ als an den Einzelmenschen. Ihn ruft sie heraus aus dem alten Babylon in das neue Jerusalem. Sie fordert seine Abkehr von den Götzen, den „stummen“ (vgl. 1 Kor 12,2) ebenso wie den lautstarken, geschwätzigen, plärrenden. Damit der Mensch seine unterschwellige oder beklemmend hervortretende Lebensangst besiege, heißt sie ihn das Tor zur Stadt Gottes durchschreiten. Über diesem steht zwar, nicht sehr einladend, geschrieben: „Umkehr und Buße“. Dahinter aber tut sich weit die Freiheit auf.

So ergibt sich eine Forderung, die den Grundsätzen der Spaßgesellschaft entgegengesetzt ist: Vertausche den Spaß durch Umkehr und Buße, und du wirst anstelle der bisherigen Angst bleibende Freude empfangen! Menschen solcher Freiheit und Freude bilden die lebendigen Bausteine einer höheren Gemeinschaft, die nicht von unten, aus dem Begehren des Fleisches oder aus menschlichem Wollen, sondern aus Gott stammt (vgl. Joh 1,13). Sie bleibt, wenn die Spaßgesellschaft schon längst unter den Trümmern ihrer einstürzenden Tempel begraben sein wird.



P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad


Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)

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