Von P. Bernward Deneke
FSSP,
Wigratzbad
„Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“ Man geht leicht über den Satz hinweg, ohne die provokante Umstellung des Bibelwortes „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde“ (Gen 1,27) zu bemerken. Derjenige, auf den diese Formulierung zurückgeht, wollte sie aber nicht nur als ein geistreiches Wortspiel verstanden wissen. Ludwig Feuerbach (+ 1872), der atheistische Philosoph und Religionskritiker, brachte mit ihr seine Überzeugung zum Ausdruck, dass Gott keine objektive Wirklichkeit zukommt.
Seiner Meinung nach ist die Vorstellung von einem höchsten Wesen vielmehr ein Produkt unseres Wunschdenkens; eine Jenseits-Projektion alles dessen, was wir leider so unidealen und unvollkommenen Menschlein für ideal und vollkommen halten. Das, was wir gerne wären, aber nicht sein können, verlagern wir in Gott, das Geschöpf unseres Geistes: die Sehnsucht nach einem unbegrenzten, unendlichen und ewigen Leben, das Verlangen nach Allmacht und Allwissenheit, nach Erhabenheit und Heiligkeit. Gott wäre demnach so etwas wie die verselbständigte Sehnsucht des Menschen. Und daher etwas, das wir, vernünftig geworden, getrost hinter uns lassen dürfen. Im Reifestadium sollte jeder Mensch, meint Feuerbach, den christlichen Glauben als „eine verwelkte schöne Blume, eine abgestreifte Puppenhülle, eine überstiegene Bildungsstufe“ betrachten.
„Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“ So sehr man die Behauptung in ihrem ursprünglichen Verständnis zurückweisen muss, so sehr trifft sie doch auf eine bestimmte Geisteshaltung zu, die uns im neuzeitlichen und modernen Denken begegnet. Sie ist heute nicht nur unter solchen, die dem Christentum fernstehen, sondern auch unter Gläubigen, ja unter Theologen anzutreffen. Freilich besteht zwischen deren Projektionen und der Theorie Feuerbachs der wichtige Unterschied, dass man nun nicht mehr die für uns Menschen unerreichbare Vollkommenheit, sondern die eigenen, unüberwindbaren Unvollkommenheiten in Gott verlegt.
So lesen sich schon manche Gottesspekulationen idealistischer Philosophen des 19. Jahrhunderts wie ein Entwicklungsroman, der das Werden und Reifen einer noch unvollendeten Persönlichkeit schildert. Da wird ein Wesen nach und nach seiner selbst inne, kommt über Erfahrungen mit sich selbst und der Welt zu sich selbst, erkennt seine eigenen Möglichkeiten und wächst an ihnen – und dieses Wesen, das da vom Kind zum Jugendlichen und schließlich zum Erwachsenen wird, soll Gott sein! Mit dem „seligen und alleinigen Gebieter, dem König der Könige und Herrn der Herren, der allein Unsterblichkeit besitzt und der da wohnt in unzugänglichem Licht, den kein Mensch gesehen hat noch zu sehen vermag“ (1 Tim 6, 15f.), kurzum: mit dem Gott, den uns die Offenbarung vorstellt, hat das alles nichts, aber auch gar nichts zu tun. Und dennoch konnte sich die widersinnige Vorstellung eines „werdenden Gottes“ im Denken vieler verhängnisvoll festsetzen.
In der Gegenwart werden die Akzente etwas anders gesetzt. Theologen insistieren darauf, der biblischen Schilderung der Heilsgeschichte sei der Gedanke eines überzeitlichen, ewigen Gottes völlig unbekannt. Daher müsse man es nun endlich wagen, derartige Verfremdungen des jüdisch-christlichen Erbes abzutun und sich auf einen Gott besinnen, der mit uns Menschen eine Geschichte durchschreite und der selbst geschichtlich sei. Dass schon Kirchenväter und Denker des Mittelalters durchaus in der Lage waren, den in der Zeit wirkenden Gott mit dem gleichfalls biblisch bezeugten „Vater der Lichter, bei dem es keinen Wandel und keinen Schatten von Veränderung gibt“ (Jak 1,17) zusammenzuschauen, wird dabei geflissentlich übergangen. Offensichtlich ist die Einsicht, dass der Herr der Geschichte selbst über der Geschichte steht, für ein flaches Denken, das alles auf menschliches Maß reduziert, zu hoch und zu tief.
In diese Zusammenhänge gehört auch die Rede vom „leidenden Gott“. Dass Jesus Christus, der fleischgewordene Logos, in seiner menschlichen Natur für uns gelitten hat, ist wesentlicher Inhalt des christlichen Bekenntnisses. Dass aber Gott selbst seiner göttlichen Natur nach leidet, entspricht weder der Offenbarung noch der gläubigen Vernunft. Zur absoluten Vollkommenheit gehört nun einmal die unbegrenzte Fülle des Lebens und somit die uneingeschränkte, durch nichts zu beeinträchtigende Freude. Daher kann von einem Leiden Gottes, wenn überhaupt, nur in einem übertragenen Sinne gesprochen werden.
„Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“ Keinem aufmerksamen Beobachter wird die Hybris entgehen, die in den beschriebenen Gedankengängen liegt. Es ist der Versuch des geschöpflichen Geistes, sich seines Schöpfers zu bemächtigen und ihn auf die eigene Ebene hinabzuzerren. Ein vergebliches Unterfangen, auf das uns in der Menschwerdung des eingeborenen Sohnes, der allein das wahrhafte Bild des unsichtbaren Gottes ist (Kol 1,15), die verbindliche Antwort gegeben wurde: Er ist herabgestiegen, um uns heraufzuführen zu dem, der uns selbst und unsere Gedankengebilde um Unendlichkeiten überragt.