Von P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad
Siena! Mein Wunsch, die gotische Stadt in der Toskana wiederzusehen, war lebhaft: die halbrunde Piazza del Campo, überragt vom riesenhaften Turm des Stadtpalastes (der, wie so viele Gebäude in Siena, die Inschrift „IHS“ trägt), die Dominikanerkirche mit dem Haupt der heiligen Katharina, vor allem aber die Kathedrale, dieses Wunderwerk aus schwarzem und weißem Marmor. Schon beim ersten Besuch, viele Jahre zuvor, hatte sie mich fasziniert wie nur wenige andere Kirchen.
Als ich mich ihr näherte und staunend die mit Skulpturen übersäte Fassade der Westfront betrachtete, bemerkte ich auch die langen Menschenschlangen, die sich am Portal gebildet hatten, maß ihnen aber noch keine Bedeutung bei. In der Urlaubszeit ist der Andrang an solchen Stätten nun einmal erheblich. Doch dann wurde ich bald der Tatsache gewahr, dass nicht das hohe Personenaufkommen selbst, sondern etwas anderes die Schuld an der Stauung trug: Zum Eintritt in das Gotteshaus muss inzwischen an einer nahegelegenen Verkaufsstelle ein Billet erworben und dann im Eingang des Domes gelöst werden. Man empfiehlt sehr eindringlich die All-Inclusive-Tickets (Preis: 10 Euro), mit denen man außerdem auch das Baptisterium, die Krypta, das Dommuseum und das Oratorium des heiligen Bernhardin besuchen sowie einen Panoramaweg auf den Gemäuern der Kathedrale begehen kann.
Das ist wirklich nicht teuer im Vergleich zu anderen Besichtigungen. Wer beispielsweise die imposante Kuppel der protestantischen Frauenkirche zu Dresden besteigen will, muss allein dafür 8 Euro bezahlen! Aber genau hier liegt das Problem: Der Rund- und Ausblick auf eine sehenswerte Stadt ist ebenso wie die Gemälde- und Skulpturensammlung eines Museums oder der Prunksaal eines Schlosses ein echtes touristisches Ziel, während es sich bei einer katholischen Kirche in erster Linie um ein Heiligtum der Gegenwart Gottes handelt, erbaut für den Opferkult des Neuen Bundes und für die persönliche Begegnung gläubiger Christen mit ihrem Herrn.
Diesen Charakter nun hat die Kathedrale von Siena – zumindest in den Zeiten des sommerlichen Massenandranges – verloren. Begibt man sich vor den Seitenaltar mit dem Tabernakel („Zutritt reserviert für Beter“ – immerhin!), so fühlt man sich unter den Blicken der herumlaufenden, ungeniert miteinander redenden und unablässig photographierenden Touristen wie jemand, der in einem Kunstmuseum vor einem religiösen Bild kniend seine Andacht verrichten wollte. Wer würde diesen Menschen nicht für einen wunderlichen, überfrommen Exoten halten, der allenfalls eines halb belustigten, halb bemitleidenden Blickes wert ist!
Man fragt sich, was geschehen ist, dass sich gläubige Katholiken inzwischen in einer Domkirche wie Fremdlinge vorkommen. Wer trägt die Verantwortung dafür? Es drängt sich mir ein Wort auf: „Museumswärter“. Damit hat es seine eigene Bewandtnis. Denn wiederholt wurde dieser Ausdruck benutzt, Priester und Laien, die sich für die traditionelle Liturgie der Römischen Kirche einsetzen, zu verunglimpfen. Der Vorwurf lautete: „Ihr hütet eure Schätze und achtet streng darauf, dass sich ihnen niemand nahe, sie gar anrühre. Doch diese Dinge sind samt und sonders veraltet, sie taugen nicht mehr für den Menschen von heute. Daher solltet ihr euch endlich den wahren Bedürfnissen der Gegenwart zuwenden und den Krimskrams von früher hinter euch lassen. Sonst seid ihr nicht missionarisch, apostolisch, pastoral, sondern nur Museumswärter!“
Mir stellt sich angesichts von Kirchen, für deren Besuch man Eintritt bezahlen muss und in denen der Beter eine Ausnahmeerscheinung darstellt, die Frage, wer es denn nun wirklich verdient, „Museumswärter“ genannt zu werden. Etwa diejenigen, die aus Gründen des Glaubens und der Ehrfurcht die überlieferte Liturgie feiern und damit eine Quelle erschließen, die schon unzählige Menschen geheiligt hat; und die dazu auch die Schätze der Vorzeit (Altäre, Gewänder, sakrale Gerätschaften) wieder ihrem bestimmungsgemäßen Gebrauch zuführen? Oder nicht doch vielmehr diejenigen, welche die Kirchen in der Urlaubssaison dem gewöhnlichen Beter verschließen und nur dem zahlenden Touristen öffnen; die aus den zur Ehre Gottes geschaffenen Kunstwerken Museumsstücke machen und so das prächtige Menschenwerk ins Zentrum rücken, das heiligste Sakrament aber, das Werk Gottes ohnegleichen, in einer verlorenen Nische verschwinden lassen?
Der Besuch der Kathedrale von Siena jedenfalls hinterließ einen faden Nachgeschmack. Beinahe wähnt man sich schuldig, das Treiben der kirchlichen Museumswärter unterstützt zu haben. Und da ja heutzutage zeitgemäße Schriftübertragungen im Trend liegen, hier meine aktualisierte Form von Mt 21,13: „Es steht geschrieben: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein. Ihr aber habt es zu einem Museum gemacht!“
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
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