Von P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad
Was erwarten wir, wenn wir im kirchlichen Rahmen zu einem „Meditationskurs“ eingeladen werden? Wohl kaum eine spezifisch christliche Angelegenheit. Lesen wir dann auch noch, die Teilnehmer sollten bitteschön in leichter Kleidung und mit Wolldecke erscheinen, so fällt es uns nicht mehr schwer, uns die Art von Meditation auszumalen, die da geübt wird.
Häufig handelt es sich um ein Gebräu aus fernöstlichen, nicht selten auch esoterischen Praktiken, versehen mit einem ordentlichen Schuss Psychologie und einigen christlichen Elementen. Das Ziel dabei ist nicht etwa ein vertiefter, verlebendigter Glaube an den dreifaltigen Gott und ein würdiger Wandel vor Ihm. Vielmehr geht es um „Selbsterfahrung“, „Selbstfindung“, „Selbstwerdung“ und manches andere mehr, das mit dem vielbeschworenen Selbst des Menschen (nicht zu verwechseln mit dem Ich!) zu tun hat. Selbstbeschäftigung eben.
„Gott“ kommt in solchem Meditieren meist nur in ent-dogmatisierter Form vor, als unaussprechlicher Grenzwert der Erfahrung vielleicht, als kosmische Energie oder tiefstes Innen unseres Selbst. Der Heiligen Schrift bedient man sich, um ihre Bilder im Sinne von Archetypen zu betrachten oder einzelne ihrer Worte als Mantra vor sich hinzuraunen. Von Orientierung an der göttlichen Offenbarung und dem Glaubensgut der Kirche aber kann nicht die Rede sein.
Bedauerlich, dass „Meditation“ heute fast automatisch in diesem Sinne verstanden wird, denn ursprünglich ist sie ein durchaus legitimes Kind der christlichen Tradition, mehr noch: eine Übung, welcher in der Geschichte der Spiritualität und auch der Theologie ein Ehrenplatz gebührt.
Zunächst fällt ja auf, dass „meditatio“ eine lateinische (und nicht etwa eine altindische) Vokabel ist. Wenn ein katholischer Vertreter fernöstlicher Versenkungsmystik Meditation als einen „Vorgang in unseren Tiefenschichten, im Innersten unseres Inneren“ beschreibt, so mag das recht spirituell klingen, lässt sich aber sprachlich keineswegs untermauern. Denn nach der knappen Auskunft eines lateinischen Wörterbuches bedeutet das Zeitwort „meditari“ nicht etwa – wie oft zu lesen oder zu hören ist – „sich in seine Mitte (lat. „medium“) versenken“, sondern schlicht und ergreifend „nachsinnen, sich vorbereiten, einüben“.
In der lateinischen Bibel finden wir das Wort „meditatio“ oftmals im Zusammenhang mit dem Gesetz des Herrn: Über dieses sinnt der gottesfürchtige, fromme Mensch nach und übt sich darin ein (vgl. z.B. Ps 118 in der Vulgata). So ist auch das christliche Meditieren ursprünglich ein betrachtendes Einüben des Wortes Gottes, um es in wachsendem Masse zu verstehen und es im eigenen Leben Fleisch werden zu lassen. Urbild solcher Meditation ist nicht etwa die im Lotussitz kauernde Gestalt des Buddha, sondern Maria, die hellwache, lauschende Jungfrau, die alle Worte und Ereignisse des Heilsgeschehens in ihrem Herzen bewahrt und erwägt (Lk 2,19 u. 51), dabei gleichsam im Sprung ist, jeden Wink des göttlichen Willens zu befolgen.
Das christliche Mönchtum brachte die Meditation im Zusammenhang mit der „lectio divina“, der geistlichen Schriftlesung, zu hoher Blüte und Entfaltung. Im 12. Jahrhundert hat der Kartäusermönch Guigo die Weise, in der das geschehen kann, beschrieben. Sie besteht aus vier Schritten, nämlich:
1) lectio: aufmerksame Lesung des heiligen Textes Wort für Wort
2) meditatio: geistige Durchdringung des Gelesenen und Aufnahme in das Herz
3) oratio: betende Darbringung der empfangenen Worte vor Gott
4) contemplatio: ruhiges, beschauliches Verweilen im Licht des Betrachteten
Viele gläubige Menschen haben durch diese Weise des Betens ihre Liebe zu Gott beflügelt und zugleich eine Schriftkenntnis erworben, die uns heute nahezu unvorstellbar scheint. Ohne die lebenslang gepflegte „lectio divina“ sind heilige Kirchenlehrer wie Bernhard von Clairvaux, Thomas von Aquin und Bonaventura gar nicht denkbar.
Umso bedauerlicher ist es, dass man in der Neuzeit das reiche Erbe christlicher Meditation zunächst durch Betrachtungsmethoden ersetzte, die sich oft einseitig an den Verstand, den Willen oder das Gefühl richten, um dann im späten 20. Jahrhundert fast alles der Überschwemmung durch die Fluten fernöstlicher Religiosität preiszugeben. Seither fühlt man sich leider, wenn von „Meditation“ die Rede ist, eher auf hinduistische, buddhistische oder esoterische Pfade gesetzt als auf den Weg, der Jesus selbst ist (Joh 14,6). Für die Klöster und katholischen Bildungseinrichtungen wäre hier viel zu tun...
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
- Bilder: aus dem Bildband "Überall bist du zu Hause"
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