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Samstag, 18. Mai 2013

Wunderliches über Wunder


„Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind“, lässt Goethe seinen von Ungewissheit geplagten Faust sprechen. Der Ostermorgen geht leuchtend auf, Glocken und frohe Gesänge künden von Christi Auferstehung. Doch der gelehrte Mann kann den Weg zu den Wundertaten Gottes, die das einfache Volk gläubig annimmt, nicht finden: „Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ 

Was hätte dem gequälten Sucher in solcher Lage wohl ein durchschnittlicher Vertreter der heutigen Theologie gesagt, welche Hilfestellungen ihm geboten, um zur Einsicht in die Glaubwürdigkeit des Evangeliums mit seiner Kunde von der Auferstehung zu gelangen? 

Naheliegend wäre es jedenfalls, unter anderen wichtigen Gründen auch die Wunder des Herrn zu erwähnen. Sie sind nicht „des Glaubens liebstes Kind“, sondern werden im Evangelium vielmehr als gewichtige Glaubwürdigkeitsmotive gewertet, die dem eigentlichen Glaubensakt vorausgehen und ihn stärken; denn in den Zeichen, die Jesus wirkt, offenbart sich Seine Überlegenheit über die sonst geltenden Gesetze, hier greift Er mit einzigartiger Macht in den Gang der Dinge ein: „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, den Armen wird das Evangelium verkündet, und selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt.“ (Mt 11,5f.) Daraus schließt unser Verstand wie von selbst: Solches kann niemand wirken, wenn nicht Gott mit Ihm ist (Joh 3,2), ja Er selbst Gott ist! Jesu Auferstehung ist dann der letzte und stärkste Erweis Seiner wahren Gottheit, auf welcher der ganze christliche Glaube gründet. 

Ausführungen dieser Art also dürfte man sich von den Theologen auch unserer Zeit erwarten, verbunden mit Argumenten für die historische Vertrauenswürdigkeit der Evangelien und ihrer Wunderberichte. Aber wer sich mit derartigen Hoffnungen an die Lektüre entsprechender Bücher begibt, der wird oft ein „blaues Wunder“ erleben. Zwar betrachten viele heutige Schriftgelehrte das Wunder wieder als ein Kind des Glaubens (und weniger als eine Hilfe zu ihm hin). Doch wird es dabei eher wie ein ungeliebtes, gerade noch geduldetes Stiefkind behandelt! 

Diese Behauptung ist nicht aus der Luft gegriffen und keine Unterstellung. Wenden wir uns nur einem Werk aus der Feder eines der berühmtesten deutschsprachigen Theologen der Gegenwart zu. Als Walter Kasper sein „Jesus der Christus“ im Jahr 1974 veröffentlichte, war noch nicht abzusehen, dass aus dem Professor ein Diözesanbischof, dann sogar ein Kurienkardinal werden würde. In seinem erfolgreichen Buch, das bis heute zahlreiche Auflagen erlebte (ich zitiere die 11. Auflage, Mainz 1992), kommt er zu dem Ergebnis, „dass wir viele Wundergeschichten der Evangelien als legendarisch bezeichnen müssen.“ Namentlich „das Wunder der Rettung aus dem Sturm, die Verklärungsszene, das Wandeln auf dem See, die Speisung der 4000 bzw. 5000 und der Fischzug des Petrus“ seien als „Rückprojektionen von Ostererfahrungen in das irdische Leben Jesu bzw. als vorausgenommene Darstellungen des erhöhten Christus“ zu betrachten. (S. 106) 

Halten wir hier kurz inne. Das will doch wohl sagen, diese Geschehnisse, die das Christusbild der Gläubigen aller Zeiten wesentlich prägten, hätten sich nicht wirklich ereignet. Sie wären vielmehr nachträglich erfunden und in die Schilderung des Lebens Jesu eingeflochten. Im Glanz der österlichen Ereignisse (die für den Theologen Kasper und seine Kollegen nochmals ein eigenes Problem darstellen) sei der jungen Kirche plötzlich auch das vorösterliche Auftreten des Herrn wie verklärt erschienen. Daher das Bedürfnis nach Wundergeschichten, die zeigen sollten, dass Er schon damals ganz einzigartig war. 

Und nochmals der spätere Kardinal: „Erst recht wollen die Geschichten von der Totenerweckung der Jairustochter, des Jüngling von Naim und des Lazarus Jesus als den Herrn über Leben und Tod herausstellen.“ (S.106) Die drei Berichte von Totenerweckungen sind also in Wirklichkeit keine Berichte, sondern legendarische Geschichten, die einen konkreten Zweck verfolgen. Und die drei beschriebenen Wunder dürfen wir folglich nicht als historische Fakten ansehen. Fragt sich nur, wie sie dann dennoch „Jesus als den Herrn über Leben und Tod herausstellen“ können, wenn Er doch in Wahrheit keinen einzigen Toten erweckt hat. Wunderliche Logik! 

Eine bestimmte Art heutiger Theologie legt den Gedanken nahe, dass man seine Schwierigkeiten habe mit einem Gott, der souverän über der Weltordnung thront und Seine Herrlichkeit in staunenswerten Taten zeigt. Und folglich auch mit dem Gottessohn Jesus Christus, der nach den Evangelien immer wieder in wunderbaren Zeichen Seine göttliche Sohnesherrlichkeit vor der Welt geoffenbart hat. 

Dieses Denken ist aber eine Sackgasse. Aus ihr führt nur der Glaube heraus, der die Wunder Jesu nicht als „Rückprojektionen“ der nachösterlichen Gemeinde betrachtet, sondern als tatsächliche vorösterliche Ereignisse, bereits vorausweisend auf die größte Wundertat des Herrn, Seine glorreiche Auferstehung. Diesem Glauben ist das Wunder keineswegs liebstes Kind, aber er nimmt es ernst als eine Offenbarung der Allmacht Gottes und Seines menschgewordenen Sohnes.


Von P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad


Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)



Zeugnis des Quadratus bzw. des Eusebius:

"[Einer der ältesten literarischen Kämpen für christliche Religion und Sitte] war der Apostelschüler Quadratus, der nach dem Zeugnis des Eusebius ums Jahr 125 dem Kaiser Hadrian eine Schutzschrift überreichte, "weil böse Männer die unsrigen zu belästigen versuchten". Diese früheste Apologie ist leider längst verloren gegangen bis auf einen von Eusebius aufbewahrten Satz, wonach bis in Quadratus Zeit herein von Christus Geheilte und Erweckte noch am Leben waren."

Bibliothek der Kirchenväter: Einleitung zur Apologie des Aristides von Athen; S.5; Hervorhebungen durch Fettdruck von FW (s. Quellen) 



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