Wer sie sucht, der findet sie schnell: die angeblichen Relikte eines magischen Weltbildes in den Traditionen der Kirche. Fast möchte es scheinen, deren Gebräuche seien mehr ein Gebräu aus heidnischem Erbe und mittelalterlich-dörflichem Volksglauben als der Ausdruck echten Christentums in der klaren Gestalt klassisch-römischer Katholizität.
Mit den sieben Sakramenten mag sich der aufgeklärte Christ des neuen Jahrtausends noch abfinden. Wenn sie seiner Meinung nach auch keineswegs auf Jesus selbst zurückgehen, so haben sie doch ein beträchtliches Alter für sich und verdienen daher Respekt. Außerdem kann man diesen Riten sehr leicht ein anderes, für den heutigen Menschen akzeptableres Verständnis geben. Das hat uns die neuere Theologie ja mit ihren existentialistischen, soziologischen und tiefenpsychologischen Ansätzen zur Genüge vorgeführt.
Aber im Bereich der Sakramentalien wird es damit schwerer. Die Weihe von Epiphaniewasser, von Agathabrot oder von Kräutern am Fest Mariae Himmelfahrt, der Blasius- und Maurussegen, gar der Exorzismus wider den Satan und die gefallenen Engel: Alles das sperrt sich doch massiv dagegen, in die entzauberte und technisierte Welt der Gegenwart eingefügt zu werden. Was können unsere Zeitgenossen, die tagtäglich stundenlang vor dem Computer sitzen, mit derartigen Handlungen anfangen?
Wenn z.B. in der Kerzensegnung des alten Rituale Romanum darum gebeten wird, den Kerzen möge die aus dem Kreuz Christi stammende Kraft eingegossen werden, damit sie die Dämonen mit ihren Beunruhigungen und Belästigungen vertreibe, dann scheinen doch eindeutig magische Vorstellungen vorzuliegen: dass ein Gegenstand durch einen Beschwörungsritus gleichsam mit göttlicher Macht „aufgeladen“ wird, um diese auf seine Umgebung „auszustrahlen“. Mit solchen teufelvertreibenden Kerzen und anderen segenbringenden, unheilbannenden Gegenständen sei man nicht mehr weit entfernt vom abergläubischen Vertrauen auf Talismane, ja selbst vom Unwesen der Zauberei, sagen die Kritiker.
Doch stimmt das denn auch? Es sei zugegeben, dass man die Sakramentalien grob sinnlich oder abergläubisch missverstehen kann. Wer etwa meint, die Kraft eines Segens oder die Echtheit einer Reliquie mit Wünschelrute und Pendel feststellen zu können, der bewegt sich auf den Pfaden der Vulgär-Esoterik, die geistige Wirkungen auf verborgene Energieströme und -schwingungen zurückführen will. Doch dürften solche Anschauungen unter Katholiken eher selten sein.
Die kirchliche Auffassung ist in Wahrheit das Gegenteil magischen Denkens. Der Magier versucht dort, wo er mit natürlichen Vermögen nicht weiterkommt, durch Beschwörungen und rituelle Handlungen außerordentliche Kraftwirkungen aus dem Reich der Geister, der Verstorbenen oder geheimnisvoller Naturmächte hervorzurufen. Die Kirche hingegen ruft die Macht Gottes, des Schöpfers und Erlösers, auf Menschen und Dinge herab. Ihm ist jegliche Kreatur unterworfen; jederzeit kann er sich daher ihrer für seine Ziele bedienen. Zwar lässt sich Gottes Wirken nicht durch einen bestimmten Ritus erzwingen. Weil aber in den Sakramentalien die Kirche (und in ihr der Gottessohn selbst) den himmlischen Vater bittet, deshalb dürfen wir darauf vertrauen, dass die erbetene Wirkung auch eintrifft – ein Vertrauen, das so oft schon wunderbar bestätigt wurde.
Die Wirkung der Sakramentalien hat mit Zauber rein gar nichts zu tun. Weder umgibt einen gesegneten Gegenstand eine Art Lichthülle, vor der die finsteren Mächte die Flucht ergreifen müssten, noch fließen aus ihm irgendwelche Energieströme oder Strahlenbündel, die den Teufeln Furcht einjagen. Vielmehr ist es die gütige Hand Gottes, die sich bergend und schützend über das Gesegnete legt und sich seiner bedient; jene Hand, die er uns im Kreuzesopfer seines Sohnes entgegenstreckt.
Daher werden Menschen und Dinge in der christlichen Tradition stets mit dem Zeichen des Kreuzes gesegnet. Das kommt auch in unserem Wort „segnen“ zum Ausdruck: Es stammt von dem lateinischen Wort „signare“, und das bedeutet „mit einem Zeichen versehen, (be)zeichnen, siegeln, versiegeln“, kirchenlateinisch sogar „das Zeichen des Kreuzes machen“. Wo etwas gesegnet wird, erhält es demnach Anteil am Kreuz Christi, wird mit dem erlösenden Opfer verbunden und in das Werk der Heiligung einbezogen.
Die Einwirkung, die hier geschieht, ist also wesentlich anderer Art als die von der Zauberei angestrebte. Und doch erfüllt sich in ihr jene Sehnsucht, die, verschüttet und umklammert von magisch-dämonischen Vorstellungen, auch solchen verfehlten Praktiken noch zugrunde liegt: die Sehnsucht nach dem verwandelnden, heilenden und heiligenden Eingriff Gottes in seine Schöpfung.
In den „starken“ Segnungen des alten Rituale Romanum wird dieser Eingriff klar benannt und dargestellt. Ihre ungeschmälerte Wucht lässt keinen Zweifel daran, dass Gott machtvoll über die Dinge dieser Welt herrscht und sie in seine Werke einbezieht. Die Segnungen tragen daher ebenso zur Zerstörung der Hirngespinste eines unerleuchteten Aberglaubens von vorgestern bei wie zur Überwindung der heutigen Illusion, die Welt sei technisch beherrschbar.
Es ist bemerkenswert, dass manche unserer Zeitgenossen in den kirchlichen Sakramentalien Magie wittern, während sie gleichzeitig Meditationsübungen, Energieübertragungspraktiken oder der „Kraft des positiven Denkens“ vertrauen, ohne sich über die eindeutig magischen Elemente dieser Modeerscheinungen auch nur Gedanken zu machen. Als gläubige Menschen aber werden wir ohne ängstliche Vorbehalte, vielmehr mit Freude und Zuversicht Segen und Schutz aus diesem herrlichen Schatz der Kirche empfangen.
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
- Foto: Wing-Chi Poon; wikimedia commons
Weiteres zum Thema:
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
- Foto: Wing-Chi Poon; wikimedia commons
Weiteres zum Thema:
Christlicher Glaube und Dämonenlehre; L’Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nummer 27, 4. Juli 1975, SS. 6-8 (Erster Teil), Nummer 28, 11. Juli 1975, SS. 8-10 (Zweiter Teil)
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