„Lebe wild und gefährlich!“ „Dein Leben sei ein Abenteuer!“ Sätze wie diese wurden jungen Menschen vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerne mit auf den Weg gegeben. „Wild und gefährlich leben“, das galt als das Gegenstück zur spießbürgerlichen Existenz, also zu jenem braven Dasein, das weithin auf den immer gleichen Gleisen dahinläuft, voraussehbar und langweilig, da ihm das Aufregende, Unberechenbare, Gefährliche fehlt. Das „abenteuerliche Herz“ (Ernst Jünger) aber will nicht bloß vor sich hin vegetieren, sondern sehnt sich nach einer Fülle an Erlebnis und Erfahrung. Es kann sich mit der ruhigen Wohlanständigkeit, den Konventionen und Sicherheitsbedürfnissen der Allermeisten nicht abfinden und gibt dem Riskanten selbst dann den Vorzug, wenn es zum Scheitern führt. Lieber ein heroischer Untergang als ein kümmerliches Überleben!
Mit dieser Auffassung war oft die Meinung verbunden, gerade christliches Leben sei eine Ausgeburt und typische Erscheinungsweise des verachteten Spießertums. Das verwundert nicht auf dem Hintergrund des Kulturprotestantismus jener Zeit, der es sich zum vorrangigen Ziel gesetzt hatte, anständige Bürger für den Staat heranzuziehen. Über einen engen, auf das Diesseits ausgerichteten Moralismus hinaus war von diesem Christentum nicht viel zu erwarten. Aber auch die Katholiken wurden von den Angriffen der jungen Wilden nicht verschont. Allsonntäglich fromm zur Kirche gehen zu müssen, um eine Heilige Messe „mit Andacht zu hören“; religiöse Pflichten gehorsam einzuhalten und zu erfüllen; schwere und auch lässliche Sünden tunlichst zu vermeiden; nicht hoch hinaus zu wollen, sondern immer schön recht demütig bleiben zu sollen: Was wäre daran wohl abenteuerlich zu nennen, wo doch alles ausgeschlossen ist, was Spannung verheißen könnte?
Allerdings hätten sich die Kritiker christlich-katholischen Lebens schnell eines Besseren belehren können. Ein Blick in das Neue Testament, zumal die Apostelgeschichte oder die Paulusbriefe (beispielhaft: die autobiographischen Bemerkungen des Völkerapostels in 2 Kor 11,23-12,10), ein wenig Einsicht in die frühkirchlichen Märtyrerakten, etwas Lektüre wirklichkeitsnaher (also nicht nur klischeehaft-erbaulicher) Darstellungen von Heiligenleben und vor allem: nur ein Quentchen eigener Erfahrung des Ringens im Einsatz für das Reich Gottes in uns und um uns – das müsste eigentlich schon ausreichen, jedem dieser vorschnellen Beurteiler klar zu machen, dass es dem Gläubigen um ganz anderes als ein Dasein eng umzirkelter Sittsamkeit und selbstgenügsamer Frömmigkeit geht.
Man braucht dem Christenleben nicht nachträglich und künstlich den Anstrich des Heroischen und Gefahrvollen zu geben. Die Reisen und Kämpfe eines Paulus, Athanasius und Franz Xaver, der totale Einsatz einer Katharina von Siena und Birgitta von Schweden, das Blutzeugnis von Stephanus und Ignatius von Antiochien, von Agnes und Caecilia bis zu Maximilian Kolbe und den ungezählten Märtyrern junger und jüngster Zeit, aber auch das Durchwandern schwerster Prüfungsnächte im Leben eines Wüstenvaters Antonius, eines Johannes vom Kreuz und einer Theresia von Lisieux – alles das gibt Zeugnis vom hohen Abenteuerpotential gelebten Glaubens.
Mit Fug und Recht kann man sagen: Wo der Anruf Gottes aufgenommen wird, da hört ein spießig-kleinkariertes Leben auf. Es beginnt ein Leben in Fülle, wie es der Herr selbst verheißen hat (Joh 10,10). Weil dieses jedoch von den Mächten des unerlösten Ego, von der häufig verdorbenen Umgebung und von unsichtbaren Feinden, also von „Fleisch, Welt und Teufel“, bedroht wird, steht es immer im Zeichen des Kampfes. Zuerst muss das Erdreich des Herzens gepflügt und umgebrochen, Schädliches und Hinderliches gejätet, ausgerissen und vernichtet werden. Dabei bewahrheitet sich das Sprichwort: „Sich selbst bekriegen, der schwerste Krieg – sich selbst besiegen, der herrlichste Sieg.“ Sodann stößt der Christ auch mit der Welt und ihren völlig anders gearteten Maßstäben zusammen, erlebt Un- und Missverständnis, Spott, versteckte und offene Feindschaft. Nur ein starkes und weites Herz übersteht solches, ohne dabei durch Verhärtung, Verbitterung oder Vergiftung geschädigt zu werden. Und nicht zuletzt stehen dem Jünger des Herrn die Fallstricke Satans, seine Lockungen und Quälereien bevor.
Fades Christenleben? Es ist ein Teil der Propaganda des Lügners von Anbeginn, die Sünde als das Interessante, die Tugend als das Langweilige hinzustellen. Tatsächlich aber ist Sünde nicht das Vitamin, sondern eher ein Narkotikum der Seele, ein Betäubungsgift, das dem Herzen den Schwung nimmt und es in gefährlichen Schlaf versetzt, während die echte Tugend von Kraft und Saft strotzt, dem Dasein Farbe und Profil verleiht und es in Spannung hält. Ein abenteuerliches Herz kennt die Wahrheit des Verses von Angelus Silesius: „Wer nicht gekämpft, trägt auch die Kron des ewgen Lebens nicht davon.“ Und es beherzigt daher die Mahnung der heiligen Theresia von Avila: „Die ihr Soldaten Christi seid, ruhet nicht, ruhet nicht, denn es gibt keinen Frieden auf Erden!“
P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
- Bild: Messfeier am Amazonas; ca. 1957
Zu den Berufen mit hohem Anteil religiöser Menschen gehören immer noch Artisten und Fußballspieler.
AntwortenLöschenAbenteuerlich? Aber gewiß doch!
Aber klar doch.
AntwortenLöschenUnd auch als katholischer Blogger kann man so manches Abenteuer erleben... :-)
Danke für diesen Frischen Wind! „Sich selbst bekriegen, der schwerste Krieg – sich selbst besiegen, der herrlichste Sieg.“ Ja, „Das einzig wichtige Schlachtfeld befindet sich in uns selbst“. Auch wenn ich grundsätzlich nur selten kommentiere, freue ich mich immer über die aufbauenden, positiven, innerlichen und lesenswerten Artikel auf dieser Seite. Weiter so! :)
AntwortenLöschenlG Mt
Herzlichen Dank, lieber Matthäus!
AntwortenLöschenUnd Gottes Segen!
Danke, ebenso Gottes Segen! Gehen wir gemeinsam und mit Freude dem Pfingstfest entgegen.
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