Ein sattsam bekannter Vorwurf an die Kirche. Er unterstellt ihr, sie habe das Evangelium, das doch entsprechend seiner Wortbedeutung eine „Gute Nachricht“ sei, verdreht und aus den einladend ausgebreiteten Armen Jesu, dem Inbegriff der bedingungslosen Liebe Gottes zu uns Menschen, einen erhobenen Zeigefinger, ja eine drohende Faust gemacht.
Es braucht nun gar nicht bestritten zu werden, dass es eine unerleuchtete, einseitig auf die göttliche Strafgerechtigkeit fixierte Glaubens-verkündigung hier und da tatsächlich gibt. Gewisse Prediger der Barockzeit mit ihren höllenrauchgeschwängerten Donnerworten finden auch heute ihre Nachahmer. Gelegentlich begegnet man wirklich Scharfmachern, die selbst bei freudestrahlenden Glaubenswahrheiten nicht auf einen vorwurfsvollen und angstmachenden Unterton verzichten wollen.
Das Erstaunliche aber ist, dass die Drohbotschafts-Anklage für gewöhnlich nicht an die Adresse solcher Randerscheinungen ergeht. Vielmehr wird sie gegenüber der gewöhnlichen kirchlichen Verkündigung erhoben, soweit diese die ernste Seite des Glaubens und der Sittlichkeit nicht ausblendet, sondern Sünde und Teufel, Gericht und Strafe noch beim Namen nennt. Grund genug, sich in gebotener Kürze mit der Angelegenheit zu befassen!
Zunächst zum Begriff Evangelium. In seinem Jesusbuch (Freiburg 2007, S. 76; Anm.: und auch hier) schreibt Papst Benedikt XVI., die Übersetzung mit „Gute Nachricht“ bleibe „hinter der Größenordnung weit zurück, die mit dem Wort Evangelium gemeint ist.“ Dieser Ausdruck entstammt nämlich der Sprache der römischen Kaiser, „die sich als Herren der Welt und ihre Retter, als ihre Erlöser verstanden“. Evangelium hießen die kaiserlichen Botschaften „unabhängig davon, ob ihr Inhalt besonders fröhlich und angenehm war.“
Somit kann die Verkündigung des Evangeliums auch durchaus Unfröhliches und Unangenehmes zur Sprache bringen. Und dass sie es sogar muss, das beweist ein Blick in das Evangelium, wie es uns im Neuen Testament vorliegt:
Da finden wir Jesu Worte über das schale Salz, das weggeworfen und von den Menschen zertreten wird (Mt 5,13), über die schrecklichen Strafen für Lieblose (Mt 5,22), Unversöhnliche (Mt 5,26f.) und Lüsterne (Mt 5,29f.). Wenig später lesen wir seine Belehrungen über den engen Weg des Heils und den breiten Weg des Verderbens (Mt 7,13f.) sowie über die fruchtlosen Bäume, die ins Feuer geworfen werden (Mt 7,19).
Wir vernehmen die eindringlichen Weherufe über Reiche, Satte, Lachende und Vielgerühmte (Lk 6,24ff.). Anlässlich der Nachricht eines Turmeinsturzes hören wir Jesus sprechen: „Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt“ (Lk 13,5). In den Gleichnissen sehen wir den Mann ohne hochzeitliches Gewand, der aus dem Festsaal geworfen wird (Mt 22,13), den Unbarmherzigen, den sein Herr dem Folterknecht übergibt (Mt 18,34), die törichten Jungfrauen, die vor verschlossener Türe stehen (Mt 25,11) und den faulen Knecht, der in die Finsternis verstoßen wird (Mt 25,30). Im Gericht ergeht über alle, die keine Werke der Liebe vorzuweisen haben, der Richterspruch: „Fort von mir, Verfluchte, in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist!“ (Mt 25,41)
Das alles klingt ganz und gar nicht nach „Frohbotschaft“. Und doch steht es im Evangelium und ist Evangelium. Den gemeinsamen Hintergrund auch der härtesten Worte des Herrn bilden ja seine sorgende Liebe für uns und seine erzieherische Weisheit, die himmelhoch über jeder Angst-und-Schrecken-Pädagogik steht. Deshalb wäre der plakative Ausdruck „Drohbotschaft“ richtiger mit „Warnung“ zu ersetzen; denn während Drohung zumeist aus Zorn und eigener Unsicherheit hervorgeht, ist es gerade dem souverän Liebenden eigen, zu warnen.
Jesus also hat gewarnt! Ebenso haben es dann auch die Apostel getan – man lese es nach in den Briefen des Paulus, Petrus, Johannes, Jakobus und Judas Thaddäus. Unzählige Heilige der Kirche setzten die Linie fort und rüttelten die Gewissen der Menschen mit teilweise erschreckend strengen Warnungen wach. Nicht anders die allerseligste Jungfrau Maria: Wo sie anerkanntermaßen erschienen ist, hat sie regelmäßig auf die schweren Bedrohungen für unser zeitliches und ewiges Leben hingewiesen. Wie könnte eine Mutter denn auch anders, wenn sie ihre Kinder in Gefahr sieht!
Und nun soll ausgerechnet die Kirche, die Jesus als ihrem Haupt, den Aposteln als ihrem Fundament, den Heiligen als ihren vornehmsten Vertretern und Maria als ihrem Urbild verpflichtet ist, nicht warnen dürfen? Offensichtlich fehlt es den Nachbetern des Vorwurfs „Drohbotschaft statt Frohbotschaft“ an Einsicht in den Ernst der Lage, an Verständnis für die Sendung der Kirche und letztlich an Kenntnis jener Liebe, die „will, dass alle Menschen gerettet werden“ (1 Tim 2,4).
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
Ganz wichtiges Thema!
AntwortenLöschenDanke!