„Glauben Sie mir, lieber Mitbruder.“ Der betagte Priester, ein emeritierter Universitätsprofessor und bewährter Zeuge für den unverfälschten katholischen Glauben, sprach eindringlich, fast feierlich zu mir. „Glauben Sie mir: Eines werden Sie unter den Geistlichen nur sehr selten finden, und das ist – Mut. Es sucht doch letztlich fast jeder seine warme Ecke, in der er in Ruhe gelassen wird.“
Diese Worte, vor vielen Jahren gesprochen, klingen in meinem Geist bis heute nach. Sie gehören zu der Art von Aussagen, bei denen es nicht nur auf den Inhalt ankommt, sondern auch darauf, wer sie gemacht hat. Und wenn es sich dabei, wie in unserem Fall, um einen Streiter handelt, der in der krisendurchschüttelten Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil unermüdlich für die Wahrheit eingestanden ist, der dabei schwere persönliche Nachteile auf sich genommen hat und viele Enttäuschungen erleben musste, der aber dennoch ungebrochen und aufrecht blieb, dann gewinnen die Worte erheblich an Gewicht.
Die Tugend des Mutes, auch Starkmut oder Tapferkeit genannt, ist tatsächlich ebenso wichtig wie selten. Und das nicht nur unter Klerikern. Als Kinder Adams sind wir doch alle zunächst einmal geneigt, das Angenehme dem Unangenehmen vorzuziehen, selbst dann, wenn die Stimme der Einsicht und des Gewissens von uns verlangt, in einen Kampf auszuziehen, also die warme Ecke mit der umtosten Front zu vertauschen.
Nach dem heiligen Thomas von Aquin besteht die Tugend des Starkmutes aus zwei Elementen, einem aktiven, ja „aggressiven“, und einem passiven. „Ardua aggredi et sustinere – Schwieriges in Angriff nehmen und durchstehen“, so bringt der Kirchenlehrer die Sache auf den Punkt. Der Tapfere ist demnach ein Mensch, der vor anspruchsvollen, riskanten Aufgaben nicht kneift, der sie vielmehr entschlossen angeht.
Und er ist einer, der das begonnene Unternehmen durchsteht, sich dabei nicht durch Hindernisse, Gefahren und Niederlagen entmutigen lässt. Der schließlich auch bereit ist, geduldig für das hohe Ziel seines Einsatzes zu leiden. Erstaunlich, aber wahr: Das geduldige Leiden – nicht nur das tapfere Streiten – ist eine Erscheinungsform des Starkmutes, und zwar eine besonders anspruchsvolle und kostbare!
Allerdings tritt die Tugend der Tapferkeit niemals allein auf. Als eine der vier Kardinaltugenden wirkt sie stets mit den drei anderen, also mit der Klugheit, der Gerechtigkeit und der Mäßigkeit, zusammen. Friedrich Schiller hat in seinem berühmten Gedicht „Die Glocke“ die Auswirkungen einer unerleuchteten, ungezügelten Entladung von Kraft überaus anschaulich im Bild des Glockengusses dargestellt:
Der Meister kann die Form zerbrechenmit weiser Hand, zur rechten Zeit,doch wehe, wenn in Flammenbächendas glühnde Erz sich selbst befreit!Blindwütend mit des Donners Krachenzersprengt es das geborstne Haus,und wie aus offnem Höllenrachenspeit es Verderben zündend aus;wo rohe Kräfte sinnlos walten,da kann sich kein Gebild gestalten …
Wie für die anderen Tugenden gilt eben auch für die Tapferkeit der Grundsatz „In medio stat virtus“: Die Tugend steht in der Mitte zwischen Extremen. In unserem Fall ist es die Mitte zwischen der Tollkühnheit und der Feigheit.
Nicht wenige junge oder innerlich junggebliebene Christen träumen von großen Taten für das Reich Gottes, von mutigem Einsatz bis zur höchsten Aufgipfelung des Starkmutes, dem Martyrium. Freilich ist zu bedenken, dass die Würfel in Sachen Tapferkeit nicht erst da fallen, wo es um Bekennermut und Heldentum vor den Menschen geht.
Die Entscheidung fällt weitaus früher: Im Bereich unseres ganz persönlichen und weithin verborgenen Lebens erweist es sich, ob wir ein abenteuerliches Herz haben, das die Trägheit unserer Natur überwindet und uns auf das Gute hin in Bewegung setzt, oder ob wir uns von den tausenderlei Schwierigkeiten, Bedenken und Befürchtungen davon abhalten lassen.
Es ist jedenfalls schwer vorstellbar, dass ein Christ sich vor der Welt durch heroisches Zeugnis auszeichnen wird, der nicht bereit ist, den Kampf gegen die widerspenstige Kraft in sich zu führen, die der Volksmund so anschaulich den „inneren Schweinehund“ nennt. Dem behäbigen Egoisten fehlt die anspornende Erkenntnis: „Sich selbst bekriegen: der schwerste Krieg – sich selbst besiegen: der herrlichste Sieg.“
Wer realistisch seine hohe Berufung als Christ und die feindlichen Mächte in sich und um sich herum erwägt, der könnte in Resignation und Verzweiflung sinken: „Bin ich nicht viel zu schwach schon für die Aufgabe, mein eigenes Leben dem Leben meines Herrn gleichförmig zu machen, geschweige denn für einen erfolgreichen Einsatz in der Welt?“ Hier ergeht an alle Menschen guten Willens die frohe Botschaft: Wir haben nicht allein zu streiten! Gott kommt uns mit Seiner Stärke zu Hilfe; ja Er will Seine Kraft gerade in unserer Schwachheit zur Vollendung bringen (vgl. 1 Kor 12,9).
Deshalb haben wir im Sakrament der Firmung die Sieben Gaben des Heiligen Geistes empfangen, unter denen auch die der Stärke ist. Der Geist Gottes also hilft unserer Schwachheit auf (vgl. Röm 8,26). Das freilich entbindet uns nicht vom eigenen Einsatz. Aber die Kraft von oben macht es uns sehr viel leichter, die warme Ecke der Ängstlichen und Trägen zu verlassen, um Zeugen zu werden für Gottes Reich.
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
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