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Freitag, 14. Dezember 2012

Die neue Weltordnung

Kirchenväter und die Menschwerdung Gottes (2)

Zeno von Verona (um 370) - Traktate (Predigten und Ansprachen) Buch 2

Von der Geburt und Majestät des Herrn

Nach der Verheißung, die Gott und seine Propheten gegeben, daß er zur rechten Zeit dem Menschengeschlecht seinen Sohn als Erlöser senden werde, legte derselbe, als die Zeit erfüllt war, auf eine Weile seine Herrlichkeit, doch nicht seine Macht ab, verließ den Himmel und trat unbemerkt als keuscher Gast in das Heiligtum des jungfräulichen Tempels (Schoßes), das als seine Wohnstätte schon vorausgesagt war; dort gestaltete er sich so, wie er sein wollte.

Ja, in der Verborgenheit schreitet er zur Ausführung des Werkes, über das er schon lange seine [S. 224] Bestimmungen getroffen. Freiwillig ruht er in dem gesegneten Heim der Keuschheit; und im Schoß der heiligen Jungfrau bereitet er sich einen Leib, um nach seinem Ratschluß geboren zu werden. Dem Menschen völlig angeglichen, birgt sich Gott in der Hülle des Fleisches; er, der die Zeiten in Ewigkeit wandelt, entleiht sein menschliches Leben von der Zeit.

Was für ein Wunder! Maria empfängt von dem, den sie gebiert. Ihr Mutterschoß füllt sich durch die (göttliche) Majestät, nicht durch (menschlichen) Samen; eine Jungfrau umschließt ihn, den die Welt und ihre Fülle nicht faßt. (1) Während dieser Zeit bringen ihre (menschlichen) Organe ihren eigenen Schöpfer zur Entwicklung, und das geschaffene Werk (Maria) bekleidet seinen eigenen Bildner mit menschlicher Gestalt.

Maria gebiert nicht in Schmerz, sondern in Freude. Es wird ein Sohn geboren ohne Vater und doch auch nicht ganz Sohn der Mutter; denn er verdankt es sich selbst, daß er empfangen ward; und es ist sein Geschenk an die Mutter, daß er geboren ward. Sie selbst staunt am meisten, daß aus ihr ein solcher Sohn hervorgegangen; man würde nicht glauben, daß er von ihr geboren wäre, wenn sie nicht ebenso, wie sie Jungfrau war nach der Empfängnis, es ebenso geblieben wäre nach der Geburt.

Das ist eine neue Weltordnung! Durch die Liebe zu seinem Ebenbild läßt sich Gott bestimmen, ein Kind zu werden, das da weint. Er, der gekommen, die Schuld der ganzen Welt zu lösen, läßt sich in Windeln wickeln. In die Krippe eines Stalles läßt.er sich legen, um anzuzeigen, daß er Hirt und Weide sein werde für die Völker. Er, dessen Ewigkeit den Begriff von Alter ausschließt, unterwirft sich den Stufen des Alters.

Im Widerspruch mit seinem (göttlichen) Bewußtsein nimmt er [S. 225] wie ein schwacher Mensch alle Leiden auf sich; er tut es, damit dem Menschen, der dem Gesetz des Todes verfallen war, die Unsterblichkeit zuteil werde. Denn darin besteht die Macht Gottes, daß er sein kann, was er nicht ist, und doch bleibt, was er ist. Er ist unser Gott, der gleich ewige Sohn des ewigen Vaters.


1: Capit virgo, quem mundus mundique non capit plenitudo. Vgl. Die Offiziumsresponsorien: Quem coeli capere non poterant, tuo gremio contulisti; ferner: Quem totus non capit orbis, in tua se clausit viscera.

Quelle: Bibliothek der Kirchenväter  


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(6)



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