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Freitag, 7. Dezember 2012

Der Gifttropfen namens Erbsünde

Wenn wir über uns und über unsere Geschichte aufrichtig nachdenken, müssen wir sagen, daß mit diesem Bericht (Gen 3,9-24) nicht nur die Geschichte des Anfangs, sondern die Geschichte aller Zeiten beschrieben wird und daß wir alle einen Tropfen des Giftes von jener Denkweise in uns tragen, wie sie in den Bildern aus dem Buch Genesis veranschaulicht wird. Diesen Gifttropfen nennen wir Erbsünde.

Gerade am Hochfest der Unbefleckten Empfängnis taucht in uns der Verdacht auf, daß eine Person, die gar nicht sündigt, im Grunde genommen langweilig sei; daß etwas in ihrem Leben fehle, nämlich die dramatische Dimension, autonom zu sein; daß die Freiheit, nein zu sagen, hinabzusteigen in die Dunkelheiten der Sünde und des Selber-machen-Wollens zum wahren Menschsein gehöre; daß man nur dann die ganze Weite und Tiefe unseres Menschseins, des wahren Wir-selbst-Seins bis zum Letzten ausnützen könne; daß wir diese Freiheit auch gegen Gott auf die Probe stellen müssen, um wirklich voll und ganz wir selbst zu werden.

Mit einem Wort, wir meinen, daß das Böse im Grunde genommen gut sei, daß wir es, zumindest ein wenig, brauchen, um die Fülle des Seins zu erleben. Wir meinen, daß Mephistopheles – der Versucher – Recht habe, wenn er sagt, daß er die Kraft sei, die »stets das Böse will und stets das Gute schafft« (J. W. von Goethe, Faust I, 3). Wir meinen, ein wenig mit dem Bösen zu paktieren, sich ein wenig Freiheit gegen Gott vorzubehalten, sei im Grunde genommen gut, vielleicht sogar notwendig.

Wenn wir uns allerdings die Welt um uns herum anschauen, können wir sehen, daß es sich eben nicht so verhält; daß vielmehr das Böse den Menschen immer vergiftet, ihn nicht erhöht, sondern ihn erniedrigt und demütigt, ihn nicht größer, reiner und reicher macht, sondern ihm schadet und ihn kleiner werden läßt.

Das müssen wir vor allem am Tag der Unbefleckt Empfangenen lernen: Der Mensch, der sich vollkommen in die Hände Gottes übergibt, wird keine Marionette Gottes, keine langweilige, angepaßte Person; er verliert seine Freiheit nicht. Nur der Mensch, der sich ganz Gott anvertraut, findet die wahre Freiheit, die große und schöpferische Weite der Freiheit des Guten.

Papst Benedikt XVI. in der Predigt am 08.12.2005


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