Von P. Bernward Deneke FSSP
„Aber ich bitte Sie, man kann praktizierten Glauben doch nicht am sonntäglichen Kirchgang festmachen! Ob jemand ein echter Christ ist, muss sich in seinem täglichen Leben, vor allem im Umgang mit dem Nächsten erweisen.“ Halb- und Binsenweisheiten dieser Art bekommt zu hören, wer warnend auf die alarmierende Entwicklung der sonntäglichen Gottesdienstbesucherzahlen hinweist. Selbst höhere Kirchenvertreter ziehen angesichts der harten Fakten gelegentlich das weiche Beschwichtigungsregister: Es sei auf der anderen Seite auch so viel Positives im Gange, nur eben nicht immer in Bindung an die alten gottesdienstlichen Formen.
Niemand wird ernstlich bestreiten, dass ein bloßes Sonntagschristentum (wenn es das denn überhaupt gibt) nicht viel mit gelebtem Glauben zu tun hat. Auch soll nichts Erfreuliches, das sich außerhalb kirchlicher Strukturen bildet, beargwöhnt oder in Abrede gestellt werden. Tatsache bleibt aber: Die Messfeier am „Tag des Herrn“, wie schon Johannes den ersten Tag der Woche nennt (Offb 1,10), gehört von den Anfängen der Kirche an so wesentlich zum Leben des Christen wie für den Juden die Heiligung des Sabbath, des letzten Tages der Woche. Daher sind bereits für den Martyrerbischof Ignatius von Antiochien (+ ca. 117) die Ausdrücke „den Sabbath halten“ oder „den Tag des Herrn halten“ gleichbedeutend mit „als Jude leben“ oder „als Christ leben“ (An die Magnesier 9,1).
In den ersten Jahrhunderten wurde das den Gläubigen keineswegs leicht gemacht. An einen arbeitsfreien Sonntag war ja bis zur Konstantinischen Wende, die dem Christentum zuerst die Freiheit (Mailänder Toleranzedikt von 313), später die Vorherrschaft als römische Staatsreligion (380) sicherte, gar nicht zu denken. Bei der christlichen Auslegung des dritten Gebot Gottes forderte man daher noch nicht den Ruhetag, sondern nur die Teilnahme an der gottesdienstlichen Zusammenkunft. Wer immer konnte, der kam, selbst unter erheblichen Gefahren. So erfahren wir aus den Akten des römischen Martyrers Saturninus und seiner Gefährten, Opfern der Diokletianischen Verfolgung um 305, dass sie vom Richter beschuldigt wurden, das Versammlungsverbot übertreten zu haben. Ihre Antwort ist bezeichnend: „Man kann die göttlichen Geheimnisse nicht unterlassen.“ Und: „Ein Christ kann ohne die sonntägliche Feier nicht leben.“
Eine ähnliche Situation wie die vor der Konstantinischen Wende lässt sich auch für unsere Zukunft nicht ausschließen. Ist man nicht dabei, den Sonntag immer weiter zurückzudrängen? Längst wird er, der erste Tag der Woche, dem „Wochenende“ zugerechnet; deshalb ist er in Kalendern und Agenden vom ersten auf den letzten Platz der Woche herabgerutscht. Auch musste er sich die Umdeutung und Umnutzung vom Tag des Herrn zum Tag der Familie, dann des Sportes und der Freizeit, am Ende zum Ruhe- und Ausschlaftag nach durchfeierter Nacht gefallen lassen. Verständlich, dass laut über die völlige Abschaffung seines Sonderstatus und die Einführung verschiebbarer freier Tage nachgedacht wird. In der entchristlichten Gesellschaft mit ihren Höchstwerten Profit und Genuss wird sich der Sonntag auf Dauer nicht halten lassen.
Dass man auch kirchlicherseits dazu beigetragen hat, die Stellung des Herrentages eher zu verschleiern als hervorzuheben, ist ein trauriges Kapitel. Selten wurde und wird in Predigten und Katechesen die heilig-strenge Verpflichtung zur Sonntagsmesse beim Namen genannt. Die Folgen sind verheerend. Auch ist der Bewusstseinswandel durch Einführung der Vorabendmesse, die zunächst nur als Ausnahme gedacht war, zu bedenken: Das liturgische Prinzip, dass der Sonntag mit der Sonnabend-Vesper beginnt, hat nun einmal für gewöhnliche Vorabendmessebesucher geringen Erlebniswert; Samstag bleibt für sie Samstag, und so verliert der Sonntag seine Stellung als religiöser Höhepunkt der Woche.
Im Blick auf die Zukunft fragt man sich: Werden es wohl viele sein, die auch den staatlich abgeschafften Sonntag, also einen gewöhnlichen Arbeitstag, als Tag des Herrn halten wollen? Darf man mit Scharen von Christen rechnen, die sich unter solchen erschwerten Umständen vielleicht zu unbequemen Zeiten und an unbequemen Orten einfinden werden, um dem Opfer Jesu Christi beizuwohnen? Und werden sie den Mut haben, wie die Martyrer vor den Mächtigen dieser Welt zu bezeugen: „Wir können die heiligen Geheimnisse nicht unterlassen, können ohne die Messe nicht leben“? Anstatt diese ernsten Fragen zu verdrängen, sollten wir sie als Anlass zur Gewissenserforschung und zum Gebet nehmen.
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
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