Im Jahr meiner Bischofsweihe 1975 zelebrierte ich im Erfurter Dom einen Sonntagsgottesdienst. Dabei fiel mir eine Gruppe einfach gekleideter Menschen auf, die sich wie Fremde verhielten.
Nach dem Gottesdienst ging ich vor dem Dom auf sie zu, und es stellte sich heraus, dass es russlanddeutsche Katholiken waren, die mit einer Gruppenreise die damalige DDR besuchten und dabei den Erfurter Dom besichtigten. Sie hatten nach 35 Jahren zum ersten Mal wieder einen katholischen Gottesdienst erlebt.
Einer der Besucher fragte mich: „Welche Glaubenswahrheiten müssen wir unseren Kindern weitergeben, damit sie das Ewige Leben erlangen?“ Eine so wichtige Frage war mir vorher und nachher nie wieder gestellt worden. Ich entgegnete ihnen: „Ich werde jedem von Ihnen eine Bibel und einen katholischen Katechismus mitgeben. Dort finden Sie alles Wesentliche.“ Darauf antworteten sie: „Religiöse Bücher in die Sowjetunion mitzunehmen, ist gefährlicher als Waffen.“ Da fragte ich, ob sie einen Rosenkranz mitnehmen könnten. Ihre Antwort war: „Natürlich, aber was hat das mit unserer Frage zu tun?“
Ich zeigte ihnen dann auf: „Am Kreuz des Rosenkranzes beten wir das Glaubensbekenntnis, das ist unsere ganze Glaubenslehre. Dann folgen die ersten drei kleinen Perlen, an denen wir Glaube, Hoffnung und Liebe betrachten, das ist unsere ganze Lebenslehre. Mehr braucht man nicht zu glauben und zu leben, um in das Reich Gottes zu kommen. Und dann sind gleichsam in Geheimschrift die wichtigsten Geheimnisse des Lebens Jesu im Freudenreichen, Schmerzhaften und Glorreichen Rosenkranz aufgefädelt.“- Heute käme noch der Lichtreiche Rosenkranz dazu. – „Das kann kein Geheimdienst entziffern, das weiß nur der gläubige Beter und Jesus Christus.“
Darauf nahm der fragende Mann den Rosenkranz in seine Hand und sagte: „Dann habe ich den ganzen katholischen Glauben in einer Hand!“ Ich konnte ihm sagen: „Ja, Sie haben den ganzen katholischen Glauben in einer einzigen Hand!“
Joachim Kardinal Meisner im Fastenhirtenbrief des Jahres 2003
Joachim Kardinal Meisner im Fastenhirtenbrief des Jahres 2003
Foto: wikipedia
wunderbar, danke
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