Von P. Bernward Deneke FSSP
Um es sogleich zu sagen:
Der Begriff Toleranz wird heute völlig falsch verwendet. Sogar sinnentstellend, sinnverkehrend. Man spricht von Toleranz und meint damit die prinzipienlose und schwächliche Haltung derer, denen fast alles gleich gültig und somit gleichgültig ist. In Wahrheit aber hat Toleranz sehr viel mit Prinzipien und Stärke zu tun – ganz anders als das, was sich da mit dem Namen „Toleranz“ schmückt.
Die Herkunft des Wortes führt uns auf die richtige Spur: lateinisch tolerare heißt „ertragen, erleiden, erdulden“. Zunächst gebrauchte man den Begriff im politischen Sinne, bezogen auf das Verhältnis eines religiös geprägten Gemeinwesens gegenüber Minderheiten, z.B. die Duldung von Katholiken durch eine protestantische Herrschaft. Heute hingegen denkt man bei Toleranz vorwiegend an eine Einstellung des Einzelmenschen.
Dabei geht es immer um etwas, das eigentlich anders sein sollte, sei es eine schwierige Person, eine unangenehme Sache oder eine schlimme Situation. Man würde sie gerne ändern, kann oder darf es aber aus bestimmten Gründen nicht. Deshalb muss man sich in die Lage schicken und sie geduldig ertragen, eben „tolerieren“.
Solche Toleranz ist nicht ein spannungsloses Hinnehmen, vielmehr ein Erdulden, das um so schwerer wird, je wichtiger einem die Angelegenheit ist. Folglich passt das Wort „Toleranz“ nicht in Zusammenhänge wie die folgenden:
- Man rühmt die Toleranz eines christlichen Missionars, weil er auch die anderen Religionen als Heilswege hochschätzt, Bekehrungsversuche ablehnt und sich auf Entwicklungsarbeit beschränkt.
- Man stuft einen katholischen Theologen als tolerant ein, weil er den Anspruch seiner Kirche, die eine und einzige Kirche Jesu Christi zu sein, für hochmütig hält und sie den anderen christlichen Konfessionen gleichstellt.
In Wirklichkeit liegt hier nicht Toleranz, sondern religiöse Prinzipienlosigkeit und Gleichgültigkeit vor. Wirklich tolerant hingegen ist ein Missionar, der, getreu dem Evangelium, die anderen Religionen als objektive Irrwege betrachtet und am Missionsbefehl Jesu festhält, der es aber aufgrund seiner begrenzten Möglichkeiten schweren Herzens hinnehmen muss, dass viele, um die er sich bemüht, außerhalb des Christentums verbleiben. Und tolerant ist ein Theologe, der den berechtigten Anspruch der Kirche vertritt und nach Kräften verteidigt, der es jedoch ertragen muss, dass alle noch so scharfsinnigen und geistvollen Argumente an der mangelnden Bereitschaft seiner Zuhörer abprallen.
Eine der übelsten Pervertierungen des Toleranzbegriffs kam mit der sogenannten Sexwelle der 1960er Jahre auf: die „tolerante Ehe“. Gemeint sind Ehen oder eheähnliche Verbindungen, in denen die Partner einander die Untreue zugestehen. Eklatanter könnte das Missverständnis von Toleranz gar nicht sein, denn hier wird ja gerade nicht etwas leidvoll erduldet, sondern eine Person kann den Ehebruch der anderen als willkommenen Freibrief zur eigenen Untreue betrachten. Die berühmte Verbindung des Philosophen Jean-Paul Sarte (+1980) mit der Feministin Simone de Beauvoir (+1986) ist ein prominentes Beispiel für „tolerante Partnerschaft“ und offenbart bei näherem Hinsehen die erschreckenden Abgründe von Lieblosigkeit und Kälte, die mit solchen Verkehrungen einhergehen.
Wer ein Beispiel echter Toleranz in der Ehe sucht, findet es z.B. bei der seligen Elisabeth Canori-Mora (1774–1825). Diese mystisch begnadete Ehefrau, Mutter und Tertiarin des Trinitarierordens wurde von ihrem Mann jahrzehntelang betrogen. Daraus zog sie aber nicht die Konsequenz, nun auch ihrerseits die Ehe brechen zu dürfen. Nein, vielmehr hielt die leidgeprüfte Frau ihrem Mann betend und opfernd die Treue und befolgte im Umgang mit ihm die Regel: „Ich nehme mir vor, die Tugend der Sanftmut und der Geduld zu üben und über die Beleidigungen des Nächsten niemals ungehalten zu sein.“ Und die Frucht davon? Nach dem Tod Elisabeths bekehrte sich ihr Mann und trat dem Trinitarierorden bei. Wundermacht christlicher Toleranz!
Wir täten gut daran, diesem Wort seine eigentliche Bedeutung wiederzugeben und im Erdulden dessen, was wir nicht ändern können, den nachzuahmen, der Weizen und Unkraut mit göttlicher Toleranz bis zur Ernte stehen lässt (Mt 13,30). Dann aber ist tatsächlich das Ende der Toleranz gekommen…
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
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