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Samstag, 11. August 2012

Eine einmalige Chance (Anmerkung zur Reinkarnation)

Von P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad

Hebr 9,27 – eine kleine Katechese über das Sterben

Oft erkennen wir staunend die Aktualität und Tragweite einzelner Schriftstellen. Sie scheinen wie für unsere Zeit geschrieben, um Antwort auf brennende Fragen zu geben. Ein Beispiel dafür ist der 27. Vers aus dem 9. Kapitel des Hebräerbriefes. Herausgelöst aus dem Satzgefüge, das ihn mit dem darauffolgenden Vers verbindet, lautet er: „Es ist den Menschen bestimmt, einmal zu sterben, und dann kommt das Gericht.“

Schon beim ersten Hinschauen ist ersichtlich, welche ehernen Wahrheiten hier angesprochen werden, nämlich Tod und Gericht. Sie gehören dem Themenkreis der sogenannten Letzten Dinge an, der in der durchschnittlichen Verkündigung und im Denken vieler Christen recht unterbelichtet ist. Allein schon deshalb steht die Bedeutung von Hebr 9,27 außer Frage.

Betrachten wir den Vers aber genauer, dann fällt unser Blick bald auf die Worte „bestimmt“ und „einmal“, die uns zunächst eher nebensächlich vorkommen, die aber auf dem Hintergrund gewisser Entwicklungen und Diskussionen der Gegenwart ihre ganze Brisanz offenbaren.

1) Da ist zunächst die Aussage, es sei uns „bestimmt“, zu sterben. Man fragt sich: Ist der Tod denn wirklich eine unüberwindbare Bestimmung? Oder wird es der rasant fortschreitenden Wissenschaft gelingen, den Menschen in seinem Erbgut derart zu perfektionieren, dass er eines Tages nicht mehr dem Gesetz des Sterben-Müssens unterliegt? Lange schon geistert dieser Traum durch die Geschichte, jetzt aber scheint seine Erfüllung in greifbare Nähe gerückt zu sein.

Hebr 9,27 erstickt solche falschen Hoffnungen im Keim. Die Formulierung „Es ist dem Menschen bestimmt“ verweist eindeutig auf den Herrn und Schöpfer, der als einziger eine solche Bestimmung verfügen kann. Zwar ist der Tod nicht Gottes Werk, sondern das Ergebnis des menschlichen Abfalls von Seinem Willen, der „Sold der Sünde“ (Röm 6,23). Aber seither steht das Gesetz des Todes unverrückbar da, und jeder Versuch, es außer Kraft zu setzen, ist und bleibt nach Aussage der Schrift zum Scheitern verurteilt. Zu unserem eigenen Glück! Denn die Unsterblichkeit der Menschen würde die gefallene Welt zweifelsohne in eine unerträgliche Hölle verwandeln...

2) Die zweite vieldiskutierte Frage wird in Hebr 9,27 mit dem Wort „einmal“ angesprochen. Man darf es nicht verstehen wie in dem Satz: „Ich gehe einmal nach Rom und besichtige den Petersdom“ (was ja nicht ausschließt, dass man Rom auch noch weitere Male besucht). Vielmehr ist „einmal“ hier eindeutig gleichbedeutend mit „ein einziges Mal“. Das ergibt sich ebenso aus der Wortwahl des griechischen Urtextes wie aus dem Zusammenhang, in dem die Aussage steht: „Und gleichwie es den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, und dann kommt das Gericht, so wurde auch Christus ein einziges Mal geopfert, um die Sünden vieler hinwegzunehmen...“

Folglich erteilt das Wörtchen „einmal“ den fernöstlich und esoterisch inspirierten Vorstellungen von Seelenwanderung und Wiederverkörperung (Reinkarnation), die derzeit auch unter Christen grassieren, eine Absage. Ein einziges Mal – und nicht einige Male – stirbt der Mensch, um danach vor das persönliche Gericht Gottes zu treten! Diese Einmaligkeit hat auch Papst Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben Tertio Millenio Adveniente vom 10. November 1994 in Erinnerung gerufen: "Die christliche Offenbarung schließt Reinkarnation aus und spricht von einer Vollendung, die im Laufe eines einzigen Erdendaseins zu verwirklichen der Mensch berufen ist." (Nr. 9)

Viele Argumente stehen gegen die Reinkarnation. So könnte man nicht mehr von der Identität und Individualität der menschlichen Person sprechen, wenn sich ein und dieselbe Seele im Laufe der Zeit als Krieger unter Dschingis Khan, als Stoffhändler zur Zeit Alexanders des Großen, als Hofdame Kleopatras, als Sklavin eines Kalifen von Bagdad, als buddhistischer Mönch in Tibet und augenblicklich als Schreiber dieser Zeilen verkörpern würde.

Vor allem aber nimmt die Vorstellung der Reinkarnation der menschlichen Existenz den Ernst sittlicher Verantwortung und Verbindlichkeit. Denn da sich unser Leben in immer neuen Anläufen abspielen würde, entstünde eine Lage, vergleichbar der eines Schülers, der darum weiss, dass er die Schulklasse beliebig oft (und in verschiedener Gestalt) durchlaufen kann, bis er irgendwann einmal das Klassenziel erreicht hat.

Dadurch verlieren die einzelnen Hausaufgaben und Prüfungen ihre Bedeutung. Ebenso hätten menschliche Verfehlungen, ja selbst die schlimmsten Verbrechen angesichts der Wiederverkörperung letztlich kein Gewicht, sondern würden gänzlich relativiert. Was könnte dem gesunden Menschenverstand und der christlichen Sichtweise von unserem Leben radikaler widersprechen? Somit enthält der Vers Hebr 9,27 eine ganze Katechese über die Letzten Dinge: „Es ist den Menschen bestimmt, einmal zu sterben, und dann kommt das Gericht.“


Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)  

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