Bei dem alten Spielchen „Wer hat das gesagt?“ kann man Verwunderung erzeugen, wenn es gelingt, einen Ausspruch zu finden, den niemand mit der zitierten Person in Verbindung gebracht hätte. Versuchen wir es doch sogleich einmal! Von wem, verehrte Leserschaft, könnte wohl der folgende Satz stammen: „Wer gegen die Wahrheit des apostolischen Ablasses spricht, der sei verworfen und verflucht“? Vielleicht von den Vätern des Trienter Konzils? Vom Jesuitengründer Ignatius von Loyola? Oder von irgendeinem besonders scharfen, antiprotestantischen Inquisitor?
Jedenfalls muss das Zitat aus der ultrakatholischen Ecke stammen. Für evangelische Christen und ökumenisch ausgerichtete Katholiken stellt es ein wahres Ärgernis dar. Hatte nicht gerade die Lehre und Praxis des Ablasses dazu geführt, dass der Augustinermönch Martin Luther gegen die römische Hierarchie rebellierte und schließlich jener Bruch entstand, unter dem wir bis heute zu leiden haben? Folglich sollte man eine Aussage wie diese, welche die Gegner des Ablasses für verworfen und verflucht erklärt, am besten aus der Erinnerung vertilgen.
Doch damit ist unsere Frage noch nicht beantwortet, von wem denn der Satz stamme. Die genannten Vermutungen jedenfalls verfehlen allesamt die Wahrheit. Um es kurz zu machen: Es handelt sich bei dem Zitat um die 71. der berühmten 95 Thesen, die Martin Luther als „Magister der freien Künste und der heiligen Theologie sowie deren ordentlicher Professor“ im Jahr 1517 „aus Liebe zur Wahrheit und in dem Bestreben, diese zu ergründen“ veröffentlichte. Die Thesen geben seine damalige Sicht der Fragen um Buße und Ablass wieder und sollten als Grundlage für eine Disputation, also ein wissenschaftliches Gespräch, dienen.
Für die meisten Menschen, die schon einmal etwas über den Ausbruch der Reformation gehört haben, dürfte diese Tatsache mehr als erstaunlich sein. Bisher hatten wir es uns vielleicht so vorgestellt: Der 35jährige Augustinermönch und theologische Doktor Martin Luther erhob sich, von heiligem Zorn über Predigten wie die des berühmt-berüchtigten Johann Tetzel („Sobald der Gülden im Becken klingt, im huy die Seel im Himmel springt!“) erfasst, gegen den unwürdigen Ablasshandel und schmetterte nicht nur diese Praxis, sondern zugleich auch das Papsttum und die ganze katholische Überlieferung nieder.
Nun aber müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es sich gar nicht so verhielt. Martin Luther wandte sich zunächst nicht gegen Rom, nicht einmal gegen den Ablass an sich, vielmehr wollte er diesen sogar gegen Missverständnisse und Missbräuche verteidigen! Die polemische 72. These, die besagt, „wer gegen die Zügellosigkeit und Frechheit der Worte der Ablassprediger“ auftrete, „der sei gesegnet“, wird durch die 91. These im kirchlichen Sinne gemildert: „Wenn der Ablass dem Geiste und der Auffassung des Papstes gemäss gepredigt würde, lösten sich alle Einwände ohne weiteres auf, ja es gäbe sie überhaupt nicht.“
Welches diese „Auffassung des Papstes“, sagen wir besser: die Lehre der katholischen Kirche war und ist, erfahren wir z.B. in ihrem Rechtsbuch: „Ablass ist der Nachlass zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld schon getilgt ist; ihn erlangt der entsprechend disponierte Gläubige unter bestimmten festgelegten Voraussetzungen durch die Hilfe der Kirche, die im Dienst an der Erlösung den Schatz der Sühneleistungen Christi und der Heiligen autoritativ verwaltet und zuwendet.“ (Can. 992)
Gewiss fehlte Luther schon 1517 das rechte Verständnis dafür. Deshalb auch lesen sich seine Disputationsthesen mehr als Warnungen denn Empfehlungen: „Nur mit Vorsicht darf der apostolische Ablass gepredigt werden, damit das Volk nicht fälschlicherweise meint, er sei anderen guten Werken der Liebe vorzuziehen.“ (41. These) Dennoch kann von einem generellen Kampf gegen das Ablasswesen hier noch nicht die Rede sein.
Diese Tatsache ist vor allem da zu bedenken, wo auch Katholiken schon bei der bloßen Erwähnung des Worte „Ablass“ gereizt reagieren und das Verhältnis zu den evangelischen Christen sogleich gefährdet sehen, wenn der Papst einen solchen verkündet und gewährt. Von den Missbräuchen der Reformationszeit jedenfalls kann in unserer Zeit nicht mehr die Rede sein. Und folglich dürfen wir Katholiken uns freimütig auf Luther berufen und auch den Kritikern aus den eigenen Reihen seine Worte entgegenhalten: „Wenn der Ablass dem Geiste und der Auffassung des Papstes gemäß gepredigt würde, lösten sich alle Einwände ohne weiteres auf, ja es gäbe sie überhaupt nicht.“ Den anderen, eingangs zitierten Ausspruch freilich werden wir besser nicht aufsagen...
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
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