Heut ist der Tag, da ich wieder zu Gott gekommen bin, der große feierliche Tag der Entscheidung, da ich's gewiss wusste, dass ich unsterblich war, dass Gott sich versöhnen ließe, und dass ich unversöhnt war.
Ich will den jauchzenden Tag vor deiner stillen Allgegenwart feiern, o du, den ich niemals aussprechen, aber zu dem ich ewig stammeln, mit heißem Herzen, mit lauten Tränen und mit Schauern, die jenes Leben hier beginnen, stammeln werde!
Wie glückselig bin ich nun! Und wie fehlen mir auch hier die Namen! Wär ein Unsterblicher gekommen und hätte es mir in jener Zeit, da ich vor Gott floh, der mir mit allen seinen Erbarmungen nachrief, hätte mir ein Engel in dieser dunklen Zeit gesagt, dass ich es werden würde, was ich nun bin, ich hätte es nicht geglaubt, so elend war ich! O Dank, Dank! aus diesem ganzen vollen Herzen, der es fassen und nicht fassen kann, lauter, jubilierender, ewiger Dank, dass ich geschaffen und mit Gott versöhnt bin!
Nun weiß ich, wer du bist? und wer ich bin? o du Naher! Hier um mich Gott, wie du es in der Unendlichkeit jener Himmel bist, die neuen Unendlichkeiten gleich ferner Himmel auch nur mit den Gedanken ersteigen, du hier und dort und da und weiter hin! und weiter hin! (steh hier still, Seele! aber steh jauchzend still!) Du dort überall Allgegenwärtiger! Angebeteter! Großer! Ewiger!
Aber auch hier ist er um mich zugegen, wo ich vor ihm anbete! Welch ein Gedanke ist dieser! Und wer kann ihn ganz hinauf denken, außer dem, der ihn werden ließ und zu seinem Fluge sprach: Hier sind deine Grenzen!
Wie selig bin ich! Hier ist Gott! - Gott war. Da war ich noch nicht! Und lauter Ewigkeit, einsame Ewigkeit ist dort hinter meinem Rücken! Gott ist! Und ich bin! Gott wird sein! Und ich werde sein! Er wird sein, der er sein wird! Und ich, was er mich machen wird! Ein vollendeter Gerechter! Vor dem, der ewig ist? Ja, vor dem, der ewig ist! rein und schuldlos und einer der Begnadigten, die durch den Tod des großen Gebornen neu erschaffen sind!
O du Strom der Glückseligkeit! O du Wonne deines Vaters! und meine! Namlosester unter allen, was die Stimme diesseits der Gräber nicht aussprechen, noch der Gedanke des, der den Tod sehn soll, begreifen kann, aber doch hier in meinem überströmenden, schauervollen, anbetenden Herzen empfunden! Ich bin im Einsamen mit Ihm!
Hier liege ich tief unten an seinem Blute und schaue das hohe Kreuz hinauf. O führt alle Morgensterne vor mir vorüber und lasst mich alle ihre Wonne sehn und zeigt mir einen Anblick wie diesen! O Empfindung! Empfindung! Die Gedanken der Wonne, sie strömen zu Tausenden in meinem Herzen empor, und ich kann sie nicht aussprechen!
Die ihr mit verhülltem Antlitze vorüber geht, Erstgeborne der Schöpfung, Anbeter, Schutzengel, Engel des Todes und des Gerichts! gebt mir eure Namen, mit denen ihr ihn nanntet, da ihr ihn bluten saht! Ich will dich mit der Stimme des Menschen nennen, o du, den meine Seele liebt!
Mein Gebein soll dich noch in der stillen Verwesung nennen und deinen nicht mehr blutenden Wunden entgegenschauern. Aber wie schön sind sie, deine quellenden Wunden! Mit welcher göttlichen Hoheit schaute dein letzter Blick herab und brach! Wie neigtest du dein Haupt! O du Liebenswürdiger! Du Schöner! Du Großer! Du Angebeteter!
O du volle Wonne meiner ganzen Seele! noch vollere, noch höhere, noch unaussprechlichere der jubilierenden, vollendeten gerechten, wenn sie nun auch über das Grab hin gelächelt hat. Aber auch dann will ich hier stehen! Hier auf Golgatha! hier, wo sein Blut hingequollen ist.
Ich eile dann nicht mit zu jenen ewigen Hügeln, welche Erzengel mit Strömen ihrer Halleluja umtönen! Ich will hier auf Golgatha stehn, wo sein Blut hingequollen ist!
Und wenn dann die neue Erde zu Eden aufblüht, so soll hier der Baum des Lebens an meinen Füßen emporwachsen! Ich will seine jungen Sprösslinge entfalten, dann unter seinen Schatten mit Augen die Jubellieder weinen, zu dem aufschaun, der für mich geblutet hat!
Wo verweilst du? Unter welchen Blumen liegst du verborgen, sanftester unter den Freunden, schöner Tod? Du Tod des Christen! Komm, komm! und hülle den müden Wandrer im Staube, zwei Schritte tiefer ein!
Und du, den meine Seele liebt, du mit den schimmernden Wunden, schau dann herunter, vom hohen Kreuze herunter und erbarme dich meiner letzten Tränen, wie du dich meiner erbarmt hast, eh ich geboren ward.
Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803), Gebet eines Christen (aus: Drei Gebete, eines Freigeistes, eines Christen, und eines guten Königs)
Foto: Maria und Johannes unter dem Kreuz; Lawrence OP
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