"Im 4. Kapitel sagt uns der Apostel, daß wir zum Erwachsenenalter mit Christus kommen sollen, zu einem reifen Glauben. Daß wir nicht mehr „unmündige Kinder“ sein dürfen, ein Spiel der Wellen bleiben, „hin und her getrieben, je wie der Wind der Meinungen weht“ (vgl. 4, 13f).
Paulus wünscht sich von den Christen einen mündigen Glauben, einen erwachsenen Glauben. Der „mündige Glaube“ ist in den letzten Jahrzehnten zu einem verbreiteten Schlagwort geworden. Aber man versteht häufig darunter eine Haltung, die sich nicht mehr von der Kirche und ihren Hirten belehren läßt, sondern selbst aussucht, was man glauben und nicht glauben will – einen selbstgemachten Glauben also. Und man versteht darunter den „Mut“, gegen das kirchliche Lehramt zu sprechen.
Aber Mut gehört dazu in Wirklichkeit nicht, weil man dabei immer des öffentlichen Beifalls sicher sein kann. Mut gehört viel eher dazu, zum Glauben der Kirche zu stehen, auch wenn er dem „Schema“ dieser Weltzeit widerspricht. Diesen Nonkonformismus des Glaubens nennt Paulus einen erwachsenen Glauben. Es ist dies der Glaube, den er sich wünscht.
Das Mitlaufen mit den Winden und Strömungen der Zeit nennt er hingegen kindisch. So gehört es zum Beispiel zu einem mündigen Glauben, für die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens vom ersten Augenblick an einzustehen und damit dem Prinzip der Gewalt von Grund auf, gerade auch in der Verteidigung der wehrlosesten menschlichen Geschöpfe entgegenzutreten.
So gehört es zum erwachsenen Glauben, die lebenslängliche Ehe zwischen einem Mann und einer Frau als die Ordnung des Schöpfers anzuerkennen, die Christus von neuem wiederhergestellt hat. Der mündige Glaube läßt sich nicht von Strömungen herumwerfen. Er widersteht den jeweils gerade wehenden Winden. Er weiß, daß diese Winde nicht der Heilige Geist sind; daß der Geist Gottes sich in der Gemeinschaft mit Jesus Christus ausspricht und zeigt.
Aber auch hier bleibt Paulus nicht bei der Verneinung stehen, sondern führt uns zum großen Ja. Den reifen, wirklich mündigen Glauben beschreibt er positiv mit dem Wort: sich „von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten“ (vgl. Ef 4, 15).
Das neue Denken, das uns der Glaube schenkt, richtet sich zuallererst auf die Wahrheit. Die Macht des Bösen ist die Lüge. Die Macht des Glaubens, die Macht Gottes ist die Wahrheit. Die Wahrheit über die Welt und über uns selbst wird sichtbar, wenn wir auf Gott hinschauen.
Und Gott wird uns sichtbar im Antlitz Jesu Christi. Im Hinschauen auf Christus erkennen wir ein weiteres: Wahrheit und Liebe sind untrennbar. In Gott ist beides unteilbar eins: Gerade dies ist das Wesen Gottes. Deshalb gehören für den Christen Wahrheit und Liebe zueinander. Die Liebe ist der Beweis für die Wahrheit. Daran werden wir immer wieder gemessen werden müssen, daß Wahrheit Liebe wird und Liebe uns wahr macht.
Foto: Steininschrift, Vatikanische Museen, Rom; Lawrence OP