Samstag, 23. Juni 2012

Dissozialität der Sünde und sozialer Charakter der Sakramente

In der Diskussion um einen angemessenen Umgang mit "wiederverheirateten Geschiedenen" wird in den (uninformierten) Medien das Hauptaugenmerk auf die angeblich so unbarmherzigen kirchenrechtlichen Bestimmungen gelenkt ("Barmherzigkeit vor Kirchenrecht").

In Wirklichkeit liegt die Begründung für die Unmöglichkeit der Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten viel tiefer, nämlich im offenbarten Glauben selbst.

Die Kirche ist der mystische Leib Christi, dessen Haupt Christus ist. Alle Güter sind allen Gliedern dieses Leibes gemeinsam. "Die geringste unserer Handlungen wirkt sich, wenn sie aus Liebe geschieht, zum Vorteil aller aus. Dies geschieht in der Solidarität mit allen lebenden und toten Menschen, die auf der Gemeinschaft der Heiligen gründet." (KKK) 953)

Ebenso schadet aber auch jedes sündhafte Verhalten dieser Gemeinschaft. Die Übertretung der Gebote Gottes, der Missbrauch der Freiheit, ist eine dissoziale Verhaltensform die nicht nur die so handelnde Person verwundet, sondern auch die ganze Gemeinschaft, den ganzen Leib verletzt. Jede Sünde fügt auch der Kirche eine Verwundung zu.


Bischof Rudolf Graber (1) schreibt:
Die schwere Sünde eines Getauften ist nämlich nicht bloß, wie unsere individualistische Zeit meint, eine Verfehlung gegen Gott, sondern bedeutet auch eine schwere Schädigung der Gemeinschaft des mystischen Leibes, ja darüber hinaus, wie Michael Schmaus (2) nachweist, einen frevlerischen Eingriff in die Schöpfung des Vaters mit all ihren Ordnungsverhältnissen und die Ermöglichung, daß der Teufel Zugang findet in die Welt.

Darum ergibt sich aber folgerichtig, daß die Sünde nicht bloß gegenüber Gott wieder gutgemacht werden muss, sondern auch gegenüber der Kirche.

Die Bußpraxis der alten Kirche brachte dies alles viel klarer zum Ausdruck als die heutige "verkümmerte Vollzugsweise" (3), in der "der erste Akt, die Ausstoßung des Sünders kaum noch zu sehen ist" (4). Gerade aber diese Entfernung des Sünders aus der Gemeinschaft zeigt deutlich den Öffentlichkeitscharakter des (Buß-)Sakraments.

"Da tritt das Volk Gottes gewissermaßen zu einem treulos gewordenen Gliede hin und erklärt ihm, daß er ein Verräter an der gemeinsamen Aufgabe geworden ist, daß er diese schwer geschädigt habe und daher nicht mehr in die Reihen des Volkes Gottes passe, sondern aus ihm ausscheiden müsse.

Das Volk Gottes entläßt ihn aus seiner Lebensgemeinschaft, aus seiner Communio. Exkommuniziert ihn. Insbesondere stößt es ihn aus jenem Gemeinschaftsvollzug aus, in welchem sich die Gemeinschaft Gottes am deutlichsten offenbart und immer wieder neu konstituiert, aus der eucharistischen Opfer- und Mahlgemeinschaft" (5).

Dieses Fernbleibenmüssen vom Empfang der hl. Kommunion, das auch (Anm.: sic!) vom kirchlichen Gesetzbuch (6) vorgeschrieben ist, ist wohl als "ein Überrest aus jener alten Zeit" (7) zu werten, als ein Rest jener Ausstoßung des Sünders aus der kirchlichen Gemeinschaft, die ja in der Eucharistie, wie wir gesehen haben, sich "verkörpert".

An sich müsste ja die vollkommene Reue, die die Sünde tilgt, genügen, um uns wieder den Zugang zur Eucharistie zu ermöglichen. Wenn die Kirche aber trotzdem vorschreibt, daß der Todsünder normalerweise zuerst das Bußsakrament empfangen müsse, so ist das Ausdruck dafür, daß der Todsünder aus der Lebensgemeinschaft des Volkes Gottes durch seine Todsünde ausgeschieden ist und erst durch einen besonderen Akt wieder aufgenommen werden muß und erst nach der Wiederaufnahme am zentralen Tun des Gottesvolkes, an der eucharistischen Feier, in vollem Maße Anteil nehmen darf (8).

Ebenso äußert sich Lubac (9): "Der ganze Vorgang der öffentlichen Buße und Absolution zeigte deutlich, daß die Wiederversöhnung des Sünders zunächst eine solche mit der Kirche ist, und daß diese das wirksame Zeichen der Wiederversöhnung mit Gott darstellt".

Der Sünder "taucht zurück in den Lebenskreis der Gnade, was noch genauer eine Rückkehr in die Gemeinschaft der Heiligen bedeutet". So prägt sich auch hier das große Prinzip aus, daß "man zur Gnade Gottes nur zurückkehren kann, wenn man wieder in die Gemeinschaft der Kirche eintritt.

Die Sünden, so sagt im 12. Jahrhundert Isaak von Stella, kann allein der ganze Christus vergeben, das Haupt mit seinem Leibe, Christus mit der Kirche" (10).

(1)  Bischof Dr. Dr. h.c. Rudolf Graber (1903-1992), Bistum Regensburg
(2)  Michael Schmaus, Reich Gottes und Bußsakrament, Münchener Theologische Zeitschrift I, 1950, 32f. Dieser ganz ausgezeichnete Artikel müßte hier nahezu ganz abgedruckt werden.
(3)  ebd 26.
(4)  ebd 28.
(5)  ebd 26.
(6)  CIC 856; D 880.
(7)  Schmaus aaO 28.
(8)  ebd.
(9)  Henri de Lubac, Katholizismus als Gemeinschaft, Benzinger-Einsiedeln 1943, 78.
(10)  alles nach Lubac 78f

aus: Rudolf Graber; An den Quellen des Heils; Buch-Kunstverlag Ettal; AD 1951




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