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Samstag, 21. April 2012

Die Erlösten…

Von P. Bernward Deneke FSSP


„Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne: erlöster müssten mir seine Jünger aussehen!“ Oft schon ist dieses Wort Friedrich Nietzsches (aus: Also sprach Zarathustra) zitiert worden.

Und zwar, um auf das Missverhältnis hinzuweisen, das zwischen dem Anspruch der christlichen Erlösungsreligion und der traurig-unerlösten Wirklichkeit ihrer Anhänger bestehe. Es ist also meistens nicht als Attacke gegen Christus, sondern gegen die Christen gedacht, wenn Kritiker dies anführen.

Nach ihrer Meinung geben die Gläubigen ein jämmerliches, klägliches Bild ab. Anstatt die Freude von Erlösten auszustrahlen, seien sie von beständiger Sünden- und Höllenangst niedergedrückt. Ihr religiöses Leben fassten sie nicht als frohen Dienst auf, sondern als Frondienst, mit dem sie sich von künftigen Strafen freikaufen wollten. Ihr Auge blicke mit geheimem Neid auf die Zügellosigkeit der Ungläubigen, zugleich aber beruhigten sie sich mit dem Gedanken an eine jenseitige Vergeltung zu ihren Gunsten. Überall sähen sie den Teufel, die Bosheit und Gottlosigkeit am Werk; darum erfülle sie tiefes Mißtrauen, unüberwindbarer Argwohn gegenüber der Welt und den Mitmenschen. –

Friedrich Nietzsche war übrigens nicht der Meinung, dass es sich bei diesen Phänomenen um krankhafte Symptome einer an sich guten und gesunden Religion handle. Nein, er behauptete, nicht die Christen treffe die Schuld daran, sondern Christus selbst oder zumindest das Bild, das der Glaube von ihm zeichne. Die radikale Folgerung seines Zarathustra lautet daher: „Der, welchen sie Erlöser nennen, schlug sie in Banden… Ach, dass einer sie noch von ihrem Erlöser erlöste!“

Das sind harte Vorwürfe, mit spitzer Feder meisterhaft zu Papier gebracht. Aber inwiefern stimmen sie denn auch? Ist die Unerlöstheit tatsächlich eine vorherrschende und geradezu kennzeichnende Eigenschaft gläubiger Menschen, oder entwerfen Nietzsche und seine Gefolgsleute hier nicht doch statt eines wirklichkeitsgetreuen Bildes eine Karikatur vom christlichen Leben?

Zumindest muss man feststellen, dass die Charakterisierung des angeblichen Durchschnittschristen nicht besonders aktuell ist (und es in solcher Vereinfachung wohl auch niemals war). Sünden- und Höllenangst? Frondienst? Verteufelung der Welt? Nein, derzeit haben wir es bei vielen Christen eher mit ganz anderen, nämlich mit den entgegengesetzten Haltungen zu tun: mit einem vermessenen Heilsoptimismus, mit dem ausufernden Drang zur Selbstverwirklichung und einer oft peinlichen Bewunderung für die moderne Welt.

Und wenn wir auch zugeben, dass die von Nietzsche angeprangerte Unerlöstheit der Gläubigen hier und da tatsächlich besteht, so muss doch auch die Rückfrage gestattet sein, ob denn diejenigen, welche Erlöser und Erlösung ablehnen, eine bessere Figur abgeben. Mir jedenfalls hat sich bei Glaubensfremden, Glaubensfernen und Glaubensfeinden bisher nicht der Gedanke aufgedrängt, diese Menschen seien beneidenswert glücklich. Oft eher der gegenteilige Eindruck.

Friedrich Nietzsche selbst, der sich als „vom Erlöser erlöst“ betrachtete, war alles andere als eine lebensfrohe Lichtgestalt. Er zerquälte sich unentwegt und endete bekanntlich in geistiger Umnachtung. Andere, weniger tiefsinnige Naturen unter den Feinden der christlichen Religion setzen auf Spaß und Unterhaltung, verscherzen dabei aber die echte Freude. Große und erfüllte Freiheit ist dort jedenfalls nicht festzustellen, wo man den einzigen Erlöser ablehnt.

So fällt also der Vorwurf „erlöster müßten sie mir aussehen“ auf die zurück, die ihn erheben. Und dennoch sollten wohl auch diejenigen, die sich zu Jesus Christus bekennen, dieses Wort nicht ganz in den Wind schlagen. Gewiss, kein gläubiger Christ ist verpflichtet, immer Optimismus zur Schau zu tragen. Aber eine tiefe Heiterkeit, eine freudige Leichtigkeit und dankbar-frohe Bejahung des Lebens müsste wohl doch an denen erkennbar sein, die daran glauben, dass der Gottessohn sie geliebt und sich für sie dahingegeben hat (Gal 2,20); die den Geist der Kindschaft empfangen haben und Gott ihren lieben Vater nennen können, ja sich als Erben Gottes und Miterben der Herrlichkeit Christi betrachten dürfen (Röm 8,15ff.). Sind denn diese Wahrheiten nicht wirklich ein Grund zu weltüberwindender und zugleich herzensgewinnender Freude? Und sind wir nicht der Welt das Zeugnis der echten Freude schuldig?

Auf keinen Fall also eine „Erlösung vom Erlöser“. Aber dennoch, nein gerade deshalb: Etwas erlöster, bitte!



Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS) 


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