Samstag, 17. März 2012

Gebet um die Bekehrung der Juden?

Von Pater Bernward Deneke FSSP

Dürfen wir Christen um die Bekehrung der Juden beten? Haben wir nach alledem, was diesem Volk auf dem Boden des christlichen Abendlandes an Leid zugefügt wurde, überhaupt noch ein Recht dazu?

Die Frage ist schon im Ansatz falsch gestellt. Und dennoch konnte sie vor einigen Jahren eine solche Brisanz gewinnen, daß selbst die Tageszeitungen darüber berichteten.

Auslöser war die Nachricht, Papst Benedikt XVI. gedenke, der alten römischen Meßliturgie ihren Platz im Leben der Kirche zurückzugeben. Schnell wurde daraufhin die polemische Rede von der „antisemitischen Messe“ in Umlauf gesetzt.

Weshalb? Vor allem deshalb, weil diese Liturgie am Karfreitag ausdrücklich für die Juden betete, „Gott, unser Herr, möge den Schleier von ihrem Herzen wegnehmen, auf daß auch sie unseren Herrn Jesus Christus erkennen.“ Im zweiten Teil der Fürbitte war sogar von der „Verblendung jenes Volkes“ die Rede, die dadurch aufgehoben werden soll, daß die Juden „das Licht Deiner Wahrheit, das Christus ist, erkennen und ihrer Finsternis entrissen werden.“

Seit der Papst nun tatsächlich im Sommer 2007 der altehrwürdigen Form des Meßritus die Tore geöffnet hat, erhielt die Kritik an der Bekehrungsbitte für die Juden wiederum Auftrieb. Daran konnte nicht einmal die Nachricht etwas ändern, daß das betreffende Gebet höchstamtlich im Jahr 2008 durch eine neue Fassung ersetzt wurde. Im Gegenteil, denn auch mit den neuen Worten wird weiterhin um die Bekehrung der Juden gebetet. Die Kirche erbittet nämlich nun, „daß unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland aller Menschen“, und „daß beim Eintritt der Fülle aller Völker in Deine Kirche ganz Israel gerettet werde.“

Nochmals also die Frage: Dürfen wir Christen um die Bekehrung der Juden beten?

Am besten antwortet man darauf mit einigen Gegenfragen: Sollen wir Christen etwa unseren Glauben an Jesus, den „Heiland aller Menschen“ (wie es das Gebet völlig biblisch ausdrückt), über Bord werfen? Wenn aber nicht, dürfen wir dann auch nur einen einzigen Menschen von dem Wunsch ausschließen, er möge diesen seinen Erlöser erkennen und von ihm das Heil empfangen? Und sofern wir für jeden Menschen das höchste, ewige Glück erbitten sollen: Wie könnten wir dann ausgerechnet dem Volk, das Gott sich einst erwählte, dieses so wichtige Gebet vorenthalten? Hieße das denn nicht, dem Unrecht, das den Juden in der jüngeren Vergangenheit von abgefallenen Christen angetan wurde, ein weiteres Unrecht, jetzt begangen von gläubigen Christen, hinzuzufügen?

Man täusche sich nicht: In den Diskussionen über die Karfreitagsfürbitte geht es letztlich um nicht weniger als um eine fundamentale Glaubensentscheidung. Tatsächlich steht hier das gesamte Selbstverständnis des Christentums zur Frage; das Selbstverständnis als Volk des Neuen Bundes, in dem der Alte Bund seine endgültige Erfüllung gefunden hat.

Beide Fassungen der Karfreitagsfürbitte in der traditionellen römischen Liturgie ruhen jedenfalls auf festem biblischem, genauer: auf paulinischem Fundament. Der heilige Paulus spricht nämlich davon, bei der Lesung des Alten Bundes liege für die Juden eine Hülle auf dem Herzen: „Sobald sich einer jedoch zum Herrn bekehrt, wird die Hülle fortgenommen“(2 Kor 3,14 f.) – der Anknüpfungspunkt für die frühere Fassung des Gebetes. Und im Römerbrief prophezeit der Völkerapostel, daß dann, wenn die Vollzahl der Heiden (d.h. der Nichtjuden) in das Gottesreich eingetreten sei, auch „ganz Israel das Heil erlangen“ wird (11,26) – die Grundlage für die neue Fassung der Karfreitagsbitte.

Problematisch ist es daher nicht, die Bekehrung der Juden zu ihrem wahren und einzigen Erlöser zu erbitten, problematisch wäre es vielmehr, sie nicht zu erbitten! Wer damit Schwierigkeiten hat, der hat sie bestimmt auch mit Jesus Christus selbst. Wer hingegen wirklich an Ihn glaubt, der kann gar nicht anders, als liebevoll für jenes Volk zu beten, aus dem Jesus dem Fleische nach stammt, damit es seinen Messias erkenne, den Heiland aller Menschen. 



Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)


Zum Thema Juden-Mission siehe bitte auch:
Robert Spaemann in der FAZ vom 20.04.2009: Gott ist kein Bigamist



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