Fortsetzung Teil 4
Die veränderlichen Seiten unseres Glaubens und Glaubenswissens
Es gibt jedoch eine Möglichkeit des Wandels, und zwar in Hinsicht auf unseren persönlichen Glauben und unser Glaubenswissen, die nicht notwendig frei von Irrtum sind; und zwar in zweifacher Richtung: unser Glaube kann sich ändern in dem Sinn, daß wir den wahren Glauben verlieren und durch Irrtümer ersetzen. Das ist eine Änderung unheilvoller Art, die sich in Widerspruch setzt zu Christus und seiner Wahrheit, die aber heute nicht selten angeraten wird unter dem Vorwand der "Glaubenserneuerung".
Aber unsere religiösen Überzeugungen können sich auch zum Guten verändern, wenn wir nämlich unseren Glauben frei machen von allen Irrtümern, die mit ihm zusammen existieren können. Diese Umwandlung, dieses Überholen des früheren Zustandes, ist die richtige Antwort auf den Ruf Christi.
Und das müssen wir betonen: Anstatt unser "faktisches Glaubensbewußtsein" als Norm für die Lehre der Kirche anzusetzen - eine Idee, die Karl Rahner in seinen neueren Schriften vorträgt -, sollten wir im Gegenteil danach streben, alle irrtümlichen Überzeugungen, die sich in unser "faktisches Glaubensbewußtsein" eingenistet haben, auszumerzen und sie durch die Wahrheit zu ersetzen.
Unsere Glaubensnorm kann einzig die Offenbarung und die Lehre der Kirche sein; anstatt die Erneuerung in der Anpassung der amtlichen Lehre an die tatsächlichen Überzeugungen vieler Katholiken zu suchen, muß der erwünschte Wandel in die andere Richtung gehen: unser Glaube hat sich ständig an der Lehre der Kirche zu orientieren und die Erneuerung durch Ausscheiden aller eingedrungenen Irrtümer anzustreben.
Unser Glaube kann sich aber in einem weiteren, fundamentalen Sinn wandeln, ohne Bezug auf die Irrtümer, denen wir verfallen können. Soweit unser Glaube wahr, d. h., soweit er in Übereinstimmung mit der Offenbarung und der Lehre der Kirche ist, kann er seinen Inhalt niemals verändern. Und doch kann er "erneuert" und vertieft werden in dem gleichen Sinn, wie die Lehre der Kirche selbst: der Glaube kann wachsen und sich entfalten zu einem größeren Umfang, einer größeren Tiefe, einer größeren Differenziertheit, einer größeren Klarheit.
Keine Stufe dieser Entwicklung kann irgendwie in Widerspruch geraten mit den früher bereits erkannten Wahrheiten. (Hier muß man daran erinnern, daß die unvollständige Erkenntnis, wie sie uns eigen ist, in keiner Weise mit dem Irrtum identisch, vielmehr ein Teil der ganzen und alles umfassenden Wahrheit ist.)
Aber es gibt die Möglichkeit und sogar das fortwährende Bedürfnis einer ständigen Reflexion über die Wahrheit, einer immerzu erneuerten Erkenntnis der Wahrheit. Hier sehen wir uns einer wunderbaren Tatsache gegenüber: Die Wahrheit selbst ist jederzeit neu.
Der Wahrheit eignet eine wahrhafte, dauernde Neuheit, und so ist sie die letzte Quelle für die Erneuerung unseres Glaubens, wie es der hl. Augustinus in dem 10. Buch seiner "Bekenntnisse" großartig ausgedrückt hat: "Spät habe ich geliebt, o Schönheit, so alt und so neu, spät habe ich dich geliebt."
Aber die Wahrheit besitzt nicht nur in sich diese wesenhafte "Neuheit", die unser Wissen jederzeit "erneuert", wenn wir uns ihr zuwenden; es gibt weiter die Möglichkeit der Erneuerung durch Wachstum und Vertiefung unserer Erkenntnis und unseres Glaubens, immer tiefer in die Wahrheit einzudringen, eines endlosen Prozesses, wobei wir auf der einen Seite immer wieder den gleichen Wahrheiten begegnen, während sie auf der anderen Seite uns in neue und unvorhergesehene Dimensionen mit neuen und noch unerfaßten Zusammenhängen führen.
Mit einem Wort, der ganze Prozeß der Erneuerung und Entwicklung unseres Glaubens und unsees Glaubenswissens besteht darin, sie von allem Irrtum zu befreien und uns mehr und mehr in das eindringen zu lassen, was von Natur aus unveränderlich und doch allzeit neu ist: die Wahrheit.
Falsche Glaubenserneuerung
Auf diesem Hintergrund können wir uns nun Rechenschaft geben über so viele falsche Formen von "Erneuerung", d. h. praktisch von Methoden der Glaubenszerstörung, welche unter dem Etikett "Erneuerung" präsentiert werden.
Heutzutage wird im großen der Versuch gemacht, den Inhalt der Offenbarung an den "modernen Menschen" anzupassen. In diesem falschverstandenen "aggiornamento" fallen viele einem historischen Relativismus zum Opfer, dessen Wurzeln man bei Hegel, Dilthey und Heidegger suchen muß.
Sie sind der Auffassung, daß die Wahrheit ein historischer Prozeß sei und daß sie sich wandele mit dem Wandel des Zeitgeistes. Von dieser falschen Grundlage her schließt man, daß wir heute unseren Glauben "erneuern" müssen durch eine "Neuinterpretierung" im Sinn des "modernen Menschen", d. h. gemäß dem, was man heute allgemein glaubt, denkt und fühlt.
Diese Einstellung wurde unter dem Einfluß von Heidegger bei Bultmann so stark, daß er sich nicht vorstellen konnte, wie ein moderner Mensch, der sich eines Elektrorasierers bedient, zugleich an die Wunder des Evangeliums glauben könne. Bultmann wollte darum das Evangelium "neuinterpretieren" im Lichte der säkularistischen und immanentistischen Weltanschauung unserer Zeit und Welt, in der es keinen Platz gibt für Wunder, Gnade oder überhaupt irgendeine übernatürliche Wirklichkeit.
Fortsetzung folgt hier
Prof. Josef Seifert:
Die Grundlage jeder Erneuerung: Der Glaube
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