Wir haben uns daran gewöhnt, uns unser Menü zusammenzustellen. Wie im Supermarkt, so auch im weltanschau-lichen und religiösen Bereich. Das passt zur heutigen Mentalität, die zugleich individualistisch und pluralistisch sein will: individualistisch, da jeder selbst für sich entscheidet; pluralistisch, weil es statt weniger verbindlicher Normen ein Angebot grenzenloser Vielfalt gibt. Demnach kann sich jeder seine Auffassung vom Menschsein und vom Leben je nach Gustus zusammenmixen. Und das selbstverständlich ohne Verpflichtung. Denn was heute gefällt, wird ja vielleicht morgen schon überholt und lästig sein.
Auch unter Christen hat diese Einstellung längst um sich gegriffen. Man nimmt sich aus den verschiedenen Sichtweisen „über Gott und die Welt“, was einem gerade interessant, ansprechend, zeitgemäß, nützlich und schlüssig scheint. Die Elemente, die da vereint werden, stammen zuweilen aus sehr verschiedenen und gegensätzlichen Richtungen. Man befragt neben der Bibel Modephilosophien und fernöstliche Religionen, und angeblich sichere Ergebnisse der Naturwissenschaft werden durch unbeweisbare esoterische Beigaben ergänzt.
Aber der Mangel an Übereinstimmung stellt für die meisten kein Problem dar. Da man meint, über die objektive Wahrheit ohnehin nichts sagen zu können, sucht man sich eben, was einem gefällt. Jedem seine Wahrheit! Ist diese Weite und Geistesfreiheit unserer Zeit nicht letztlich viel christlicher als die enge Fixierung auf kirchliche Dogmen und Moralvorschriften?
Gläubigen Katholiken gehen für gewöhnlich nicht so weit wie solche „freien Christen“. Völlige Beliebigkeit kommt für sie nicht in Frage, dafür sprechen die Heilige Schrift und die christliche Überlieferung dann doch zu eindeutig. Was aber nicht bedeutet, dass der Trend, sich sein eigenes Religionscocktail zu komponieren, nicht auch unter kirchengebundenen Menschen seine Wirkung gezeitigt hätte. Viele von ihnen tun sich namentlich schwer damit, die vollständige Lehre der Kirche anzunehmen.
Dass die Apostel von Jesus mit einem Lehrauftrag in die Welt entsandt wurden (Mk 16,16), dass dieser auch über die erste Zeit hinausreicht („Seht, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“: Mt 28,10) und dass das Hören oder Verachten des Herrn sich am Hören oder Verachten seiner Zeugen entscheidet (Lk 14,26) – alles das würden besagte Katholiken wohl zugestehen. Doch haben sie ihre Schwierigkeiten damit, dass sich die Glaubenspflicht auch auf die späteren Lehren über Kirche und Sakramente, über Maria, das Fegfeuer und ähnliches mehr erstrecken soll. Manches davon scheint ihnen mittelalterliche Zutat zu sein, allzu zeitgebunden, allzu fern vom Ursprung und von den aktuellen Problemen.
Deshalb tun sie das, was doch eigentlich selbstverständlich ist: Sie gehen selektiv an die kirchliche Lehre heran, treffen also eine Auswahl, die ihnen sinnvoll erscheint. Was soll denn daran auch falsch sein? Ist das Alles-oder-nichts-Prinzip, auf dem man früher herumritt, nicht völlig überzogen?
Dazu ist zu sagen, dass die Kirche auch heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts, den Anspruch aufrechterhält, ihre Lehre sei, insoweit sie verbindlich verkündet wurde, vollständig anzunehmen. Für diese Ablehnung eines Auswahlglaubens hat sie allerdings schwerwiegende Gründe.
Zunächst muss daran erinnert werden, was denn religiöser Glaube überhaupt sei. Etwa das Ergebnis persönlicher Forschungen? Oder ein geschmäcklerisches Spielen mit Ideen? Nein, vielmehr das rückhaltlose Vertrauen in Gott und seine Offenbarung; somit auch die Zustimmung zu Inhalten, die man zwar selbst nicht einsieht, aber aufgrund seiner Wahrhaftigkeit annimmt. Hinter den verkündeten Glaubenslehren steht ja die Autorität des verkündenden Gottes. Und die Autorität der Kirche, die er zur Verkünderin seiner Offenbarung bestimmt hat, damit sie in seiner Vollmacht lehre.
Wer einem Professor auf seinem Fachgebiet nur eingeschränktes Vertrauen entgegenbringt, stellt damit seine Kompetenz und Autorität grundsätzlich in Frage. Was wäre das für ein Mediziner, auf dessen Auskünfte über Anatomie oder bestimmte Krankheiten man sich nicht verlassen könnte?
Ebenso, ja noch viel mehr gilt das von der Kirche. Wer eine von ihr vorgetragene Glaubenslehre ablehnt, stellt ihre Kompetenz und Autorität als „Säule und Grundfeste der Wahrheit“ (1 Tim 3,15) grundsätzlich in Frage.
Er entzieht damit übrigens zugleich auch seinem eigenen Glauben den tragenden Grund, nämlich die Autorität, auf welche er gestützt ist. So wird aus dem religiösen Glauben, diesem über die Kirche auf Gott bezogenen Akt, ein persönliches, subjektives Meinen. Wer aus dem Glauben auswählt, macht sich selbst zum Herrn über die Wahrheit. Und was er von den Glaubenslehren dann noch annimmt, nimmt er jedenfalls nicht mehr aufgrund der Autorität des Herrn und seiner Kirche an. Er ist sich selbst höchste Autorität und hört somit auf, ein wahrhaft Glaubender zu sein.
Daher muss es schon ein ganzes, ungeteiltes Glaubens-Ja sein! Wer es, bewegt von Gottes Gnade, spricht, empfängt darin Licht und Kraft. Licht, das ihn mehr und mehr zur Erkenntnis des lebendigen Organismus führt, in dem alle Glaubenswahrheiten zusammengefügt sind. Und Kraft, um dem Relativismus des aus den Fugen geratenen Pluralismus der Gegenwart zu widerstehen.
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
Vielen Dank für die klaren und inspirierenden Worte hier! Versuche mich auch gerade an dem Thema...
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