Wissen wir es überhaupt noch zu schätzen, wie leicht es uns mit der Sündenvergebung gemacht wird, und das selbst bei Sünden, die nach dem Wort des heiligen Apostels Johannes „zum Tode“ sind (1 Joh 5,16)? Wer sich mit der Bußdisziplin der frühen Kirche befasst und ihr dann vergleichend die aktuelle Praxis gegenüberstellt, der kann nur sanft lächeln, wenn jetzt wieder über den „Beichtzwang“ geklagt wird. Nein, mehr kann uns die Kirche wohl kaum entgegenkommen: Gewissenserforschung, Reue, aufrichtiges Bekenntnis – und schon wird uns die Lossprechung gewährt, verbunden mit einem „Bußwerk“, das diesen Namen zumeist kaum verdient.
Die Geschichte der kirchlichen Bußpraxis zeigt uns von Anfang an, wie ernst man es mit der Sünde nahm. Kaum zu fassen, dass ein Getaufter, ein Wiedergeborener aus dem Wasser und dem Heiligen Geist, der die Freiheit eines Gotteskindes erlangt hatte, sich jemals wieder unter das Joch der alten Sklaverei beugen könnte!
Aber die Christen hatten sich dieser traurigen Realität zu stellen. Pflegte man bei Verfehlungen, die „nicht zum Tode“ sind, das Bittgebet für den Sünder (1 Joh 5,16), so wurde bei schlimmeren Vergehen schwereres Geschütz aufgefahren. Bis hin zum Ausschluss aus der Gemeinde, den z.B. Paulus in einem Fall von Blutschande zu Korinth verlangt: Der Mann sei „dem Satan zu übergeben zum Verderben des Fleisches, damit sein Geist gerettet werde“, lautet die Forderung des Völkerapostels (1 Kor 5,4f.).
Auch in der Angelegenheit des Hymenäus und Alexander, „die im Glauben Schiffbruch erlitten“, spricht Paulus davon, sie „dem Satan zu überantworten, damit sie gezüchtigt werden, nicht mehr zu lästern“ (1 Tim 1,20). Man mag eine derart strenge Vorgehensweise als unbarmherzig empfinden, und doch ist sie ganz vom Gedanken an das Heil des Sünders geleitet.
Aus der Wurzel apostolischer Praxis bildete sich in den ersten Jahrhunderten eine Disziplin heraus, die von schweren Sündern (vor allem im Bereich der drei „Kapitalsünden“: Glaubensabfall, Unzucht und Mord) eine öffentliche Buße verlangte. Diese bestand in Fasten, Gebet, Almosengeben, Verzicht auf die eheliche Gemeinschaft und Ausschluss vom eucharistischen Gottesdienst; sie dauerte so lange, bis der Bischof die Vergebung und Wiederaufnahme schenkte. Und – was uns vielleicht am schwersten zu schaffen macht – sie wurde nur ein einziges Mal gewährt!
Die frühen Christen, häufig selbst aus dem Heidentum bekehrte Menschen, dachten derart groß von der Gnade der Taufe, dass ihnen deren Verlust als Ungeheuerlichkeit erschien. Undenkbar, dass jemand, der von Christus aus der Seenot der Sünde gerettet und auf dem Schiff der Kirche geborgen worden war, dann nochmals über die Reling in die Fluten springen würde! Eigentlich sollte es für ihn keine Rückkehrmöglichkeit mehr geben, so dachten besonders strenge Kreise, die um den Anspruch und die Verbindlichkeit des Glaubens bangten. Die Kirche aber entschied sich, dem, der über Bord gegangen war, noch einmal, ein einziges Mal die Rettungsplanke der Buße hinzuhalten.
Doch das Klima sollte für die Sünder noch milder werden. Als nämlich im 4. Jahrhundert das Christentum anerkannt und zur römischen Staatsreligion wurde und nun die Menschenmassen in die Kirche strömten, unter ihnen auch solche, die keine tiefgreifende Bekehrung erlebt hatten, sondern sich aus recht durchwachsenen Motiven taufen ließen, da wurde die bisherige Disziplin nach und nach unhaltbar. Häufig kam es z.B. vor, dass Menschen selbst vom Range des Kaisers Konstantin mit der Taufe zögerten und lieber im Stand eines Katechumenen, eines Taufbewerbers, verblieben, um nicht nach empfangener Wiedergeburt alsbald in den Stand der öffentlichen Büßer eintreten zu müssen.
Daher zeigte die kirchliche Autorität Entgegenkommen, indem sie z.B. die zuvor oft sehr lange Buße auf die Zeit von Aschermittwoch bis Gründonnerstag verkürzte und bestimmten Personenkreisen (Jugendlichen, Eheleuten) einen Aufschub gewährte. Die öffentliche Buße, zunehmend auf besonders eklatante Vergehen beschränkt, trat langsam, aber sicher von der Bildfläche, während das persönliche Bekenntnis beim Priester mit persönlicher Wiedergutmachung sich durchzusetzen begann, vor allem gefördert durch die missionierenden iro-schottischen Mönche, welche diese gelungene Verbindung von Sündenvergebung und Seelenleitung in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts auf dem Festland einpflanzten. Von dort war es nicht mehr allzu weit zur heutigen Praxis.
Kein anderes Sakrament hat in der Geschichte einen derartigen Wandel erlebt wie das der Buße. In den Veränderungen aber ist doch die tiefe Kontinuität zu erkennen, die sich im Ernst gegenüber der Sünde, in der richterlichen Vollmacht der Kirche, in der Festlegung der erforderlichen Wiedergutmachung und in der Kraft der Vergebung zeigt: „Wem ihr die Sünden nachlasst, denen sind sie nachgelassen, wem ihr sie behaltet, dem sind sie behalten“ (Joh 20,23). Wir haben Grund, für die Entwicklung hin zur heutigen Form der Beichte dankbar zu sein und „in Freuden zu schöpfen aus den Quellen des Erlösers“ (Jes 12,3).
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
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