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Mittwoch, 22. Februar 2012

Die Asche

Am Waldrand steht ein Rittersporn. So eigenwillig gerundet seine dunkelgrünen Blätter. Fein biegsam und fest geformt die schlanken Stengel. Die Blüte wie aus schwerer Seide geschnitten, und eine Bläue hat sie, so edelsteinleuchtend, daß sie die ganze Luft rings umher erfüllt.

Und käme einer und bräche die Blume, und dann würde er ihrer überdrüssig und würfe sie ins Feuer...: wenige Augenblicke, und die ganze leuchtende Pracht wäre ein schmales Streifchen grauer Asche.

Foto: Lawrence OP
Was aber das Feuer hier in kurzen Augenblicken getan, das tut die Zeit immerfort an allem, was lebendig ist: Am zierlichen Farn, an der hohen Königskerze, an der gewaltig stehenden Eiche. Sie tut's am leichten Schmetterling, wie an der raschen Schwalbe. Am kleinflinken Eichkätzchen und am schweren Stier.

Immer ist's das Gleiche, ob es nun rascher geht oder langsamer; mag's eine Wunde sein oder eine Krankheit, Feuer oder Hunger oder was sonst: Einmal wird aus all dem blühenden Leben Asche.

Aus der starken Gestalt ein schütteres Häufchen Staub, das jeder Wind zerweht.
Aus den leuchtenden Farben grauliches Mehl.
Aus dem warm schwellenden, fühlenden Leben kärgliche, tote Erde;
weniger als Erde: Asche!

So geht es auch uns. Wie fröstelt uns, wenn wir in ein geöffnetes Grab schauen und sehen neben einigen Gebeinen eine Handvoll grauer Asche.

"Denke daran, Mensch:
Staub bist du,
Und zu Staub kehrst du zurück!"

Vergänglichkeit, das bedeutet die Asche. Unsere Vergänglichkeit; nicht die der Anderen. Unsere; meine! Mein Vergehen spricht sie mir, wenn der Priester am Beginn der Fastenzeit mit der Asche der einst frisch grünenden Zweige vom vergangenen Palmsonntag mir das Kreuz auf die Stirne schreibt:

"Memento homo
Quia pulvis es
Et in pulverum reverteris!"

Alles wird Asche. Mein Haus, mein Gewand, und Gerät und Geld; Acker, Wiese, und Wald. Der Hund, der mich begleitet, und das Tier im Stall. Die Hand, mit der ich schreibe, und das lesende Auge und mein ganzer Leib.

Die Menschen, die ich gehaßt; und die Menschen, die ich gefürchtet habe. Was mir auf Erden groß erschienen, und was klein, und was verächtlich, alles Asche, alles...


Romano Guardini: Von heiligen Zeichen; AD 1927  (s. Quellen)

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