In unseren Tagen ist wieder viel von Reform der Kirche die Rede. Man beklagt den Reformstau, der an die Stelle des Konzilsaufbruchs der 60er und 70er Jahre getreten sei. Die kirchliche Hierarchie wird in solchen Zusammenhängen gerne als ein reformfeindlicher Altherrenclub dargestellt, während die (zumeist auch nicht mehr ganz jungen) Kritiker aus den Reihen der Theologenschaft und des Klerus wie mutige Vorkämpfer einer notwendigen Erneuerung erscheinen.
Jedenfalls fällt dem Kundigen auf, welchen Wandel das Anforderungsprofil eines Reformers seit einigen Jahrzehnten in der öffentlichen Meinung durchgemacht hat. Durfte einstmals als Reformer gelten, wer kompromisslos zur ursprünglichen Strenge mahnte, so nennt man jetzt einen Reformer, wer nachgiebige Erleichterungen fordert und fördert.
In sogenannten fortschrittlichen Milieus schiebt man sich gerne gegenseitig das hohe Lob zu, Reform zu betreiben und reformerisch zu sein, auch dann, wenn die Ideen und Ziele völlig zeitgeistkonform und daher nach dem Geschmack der angepassten Mitläufer glaubens- und sittenferner Trends sind.
Folglich hat auch das Wort „Reform“ gegenüber früheren Zeiten einen anderen Klang erhalten. Tönte es ehedem beunruhigend in den Ohren der Bequemen, der Lauen und der Lasterhaften, so verstört es heutzutage die eifrigen, um Glaubenstreue bemühten Katholiken. Was ist ihnen nicht in der jüngeren Vergangenheit alles als Reform aufgetischt worden! Obwohl es sich bei solcher Titulierung eigentlich um einen leicht durchschaubaren Etikettenschwindel handelt, beschleicht viele Gutgesinnte daher bei der Ankündigung von Reformen dennoch eine sorgenvolle Ahnung.
Folglich tut eine Begriffsklärung not. Gerade wer mit „Reform“ noch immer Namen wie Gregor der Große, Bernhard von Clairvaux, Franz von Assisi, Katharina von Siena, Ignatius von Loyola, Theresia von Avila, Karl Borromäus, Petrus Canisius oder Pius X. verbindet, will es nicht einfach so hinnehmen, dass dieselbe Vokabel jetzt plötzlich einen geradezu gegenteiligen Sinn haben soll.
Um also der begrifflichen Unschärfe zu entgehen, befragen wir das Wort „Reform“ nach seiner eigentlichen Bedeutung. Und, siehe da, schon beim ersten flüchtigen Blick gibt es uns etwas preis, das so gar nicht zu den Konzepten der selbsternannten Reformer unserer Tage passen will: „Re-form“ besagt ganz offensichtlich ein Zurück zur ursprünglichen Form. Wer „Reform“ sagt, dem schwebt das Wesen eines Gegenstandes, gleichsam sein Idealbild, vor; diesem soll die Realität, da sie sich davon entfernt hat, wieder angenähert werden.
Eine gelungene Definition von „Reform“ bietet der Priester und Theologieprofessor Georg May, der als mutiger Streiter für den katholischen Glauben und die Kirche Berühmtheit erlangt hat. Unter einer Reform ist nach ihm „die planmässige, die Kontinuität wahrende Umgestaltung und Verbesserung von Einrichtungen, Zuständen und Gesinnungen, die der Erneuerung bedürftig sind“ zu verstehen: „Reform ist in ihrem Wesen Vervollkommnung und besagt, dass einem Menschen, einem Ding oder einer Einrichtung die rechte Gestalt gegeben bzw. wiedergegeben wird.“ (Echte und unechte Reform, Wien 1978, 5f.)
Man könnte diese kompakte Beschreibung nun zerlegen und jeden ihrer Einzelteile zum Gegenstand einer eigenen Betrachtung machen. Als Ergebnis träte dann auch deutlich hervor, wie wenig das Reform-Palaver unserer Tage damit zu tun hat. Gehört es nicht selbst zu jenen Krankheitssymptomen (oder Krankheitsherden?), um deren Abstellung sich der wirkliche Reformer bemühen müsste?
Kirchliche Reform ist tatsächlich ein Gebot der Stunde. Aber eben eine Reform, die das authentische Wesen der Kirche als Braut und geheimnisvoller Leib Christi, als Fortsetzung seines Lehr-, Hirten- und Priesteramtes klarer hervortreten lässt. Also eine Reform der Glaubenstreue anstelle der Umdeutung des Gotteswortes und seiner Verwässerung durch modische Ideologien. Eine Reform des Gehorsams und der Disziplin im Gegensatz zu dem Aufbegehren gegen Gebot und Ordnung, Tradition und Obrigkeit. Eine Reform der christlichen Konsequenz statt der Aufweichung und der Anpassung bis zur Gleichförmigkeit mit der Welt. Eine Reform heiligen Eifers statt des müden Skeptizismus und der Bequemlichkeit... So ließe sich noch seitenlang fortfahren.
Eines ist sicher: Wer Jesus Christus und seine eine, heilige, katholische und apostolische Kirche liebt, der will sie vor Pseudo-Reformen bewahrt sehen, während er ihr in unseren Tagen nichts Besseres zu wünschen vermag als eine wirkliche und wirksame Reform.
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
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