Im Folgenden ein Vortrag des Philosophen und Autors Prof. Josef Seifert, der gegenwärtig Rektor der Internationalen Akademie für Philosophie (IAP) in Liechtenstein ist. Der Text wurde bereits in den Ausgaben Nr. 10 und 11 des Jahrgangs 1975 der katholischen Zeitschrift "DER FELS" abgedruckt.
Ich danke dem Fels-Verlag für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung.
Josef Seifert
Der kämpfende Mensch
Das Thema, über das ich sprechen soll, ist ein im besten Sinne des Wortes unzeitgemäßes Thema, und es war Ihre sehr originelle Idee, dieses gerade heute zu wählen, da kaum irgendwer noch anerkennen will, daß überhaupt - vor allem auf geistigem Gebiet - der Kampf im menschlichen Leben eine entscheidende Rolle spielt. Sogar im politischen Denken behaupten zwei Schlagworte (die im Westen ernstgenommen werden) das Feld: "Entspannung" und "Friede", und nicht selten versteht man darunter Frieden um jeden Preis.
Wer immer in der politischen Theorie letzte feindliche Gegensätze feststellt, etwa zwischen einem Rechtsstaat und einem die Menschenrechte mit Füßen tretenden System, zwischen Christentum und christlicher Weltverantwortung einerseits und einem kommunistisch-atheistischen, oder auch bürgerlich atheistischen, sozialistischen Idol andererseits, wird als Fanatiker oder als "kalter Krieger" oder mit ähnlichen Bezeichnungen abgelehnt.
Man braucht etwa nur daran zu denken, wie das - gewiß auch politische Fragen berührende - Wirken des an sich ganz religiös orientierten P. Werenfried van Straaten vor allem bei gewissen Intellektuellen erbittertem Widerstand begegnet; allein die Tatsache, daß er über die blutigen und unblutigen Christenverfolgungen in den Ländern des Ostens nicht schweigt, erzürnt sie.
Oder denken wir an Kardinal Slipyi und seine Intervention auf der römischen Bischofssynode, wo er von einem Verrat an all den in der Ukraine verfolgten und ermordeten Christen sprach. Gerade sein Brandmarken dieser Übel führte zu seiner Kaltstellung.
Das Sprechen über zutiefst feindliche und unversöhnliche Mächte im Bereich der Politik ist also heute äußerst unmodern. Man setzt vielmehr auf den unaufhaltsamen Fortschritt, auf die neue Zeit, auf die Offenheit nach allen Seiten, auf die gemeinsame Humanisierung, die alle Fronten überspannen und alle Gegner versöhnen soll.
Verzweiflung an der Wahrheit
Nun gilt das aber nicht nur in der Politik, sondern auch auf anderen Gebieten, z.B. im heutigen Philosophiebetrieb. Der Gegensatz zwischen wahr und falsch, ja schon die Fragestellung, ob eine Philosophie oder eine philosophische These wahr oder falsch sei, wird ruhig belächelt.
Auf "ernstzunehmenden" philosophischen Kongressen wird man geradezu als verrückt angesehen, wenn man die Frage stellt, die noch einen Heinrich von Kleist angesichts der Kantschen Erkenntniskritik im Innersten bewegte, ob nämlich diese Philosophie wahr oder falsch sei.
Wie Kleist dann an der Wahrheitsfindung verzweifelte, so glaubte auch Nietzsche, daß durch Kant die Unmöglichkeit der Wahrheitsfindung aufgezeigt worden sei. Doch selbst diese an der Wahrheit verzweifelten Geister waren noch von dem Grundgesetz zwischen wahr und falsch überzeugt.
Heute treffen wir weitgehend auf eine Entthronung dieses Gegensatzes, ja auf ein Verschwinden der Frage nach wahr oder falsch überhaupt. An die Stelle von "wahr" und "falsch" treten Ausdrücke wie "veraltet - fortschrittlich", "naiv - kritisch"; solche Gegensatzpaare ersetzen, auch in der Philosophie, den elementaren erkenntnistheoretischen Gegensatz zwischen wahr und falsch; auf solche Weise glaubt man, die Fronten aufweichen und den geistigen Kampf beenden zu können.
Wer etwa heute noch einen unversöhnlichen Gegensatz zwischen Theismus und Atheismus sieht, wer die Freiheit der Person und des Willens dem Determinismus entgegenstellt und die Anerkennung der Geistseele einer materialistischen Konzeption oder eine realistische Position einer transzendental-philosophischen, und im Ernst glaubt, daß es hier um den unüberbrückbaren Gegensatz von wahr und falsch geht, der wird in vielen Kreisen nicht mehr ernst genommen.
Man glaubt einfach, diesen Urgegensatz in einer "höheren Einheit" versöhnen und auflösen zu können. Man erklärt, daß all diese Gegensätze "dialektisch" aufzuheben seien, wobei kein Mensch genau weiß, was unter diesem Begriff zu verstehen ist, und hält jeden, der eine These als objektiv wahr vertritt, für einen dogmatisch engen Fanatiker, für reaktionär oder einfach naiv.
An die Stelle der Erkenntnis unveränderlicher Wahrheiten tritt die an Hegel orientierte Vorstellung eines Prozesses, in dem sich aus den Gegensätzen, die alle nur verschiedene Aspekte der einen Wahrheit sind, der Geist im Lauf der Geschichte zu immer höheren Phasen fortentwickelt, ohne daß jemals ein letzter bleibender Gegensatz zwischen wahren und falschen Thesen zu statuieren sei.
Fortsetzung folgt
Prof. Josef Seifert: Der kämpfende Mensch ( Teil 2) (bitte HIER klicken!)
Prof. Josef Seifert: Der kämpfende Mensch ( Teil 3) (bitte HIER klicken!)
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( Teil 5) (bitte HIER klicken!)
( Teil 6) (bitte HIER klicken!)
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( Teil 8, Schluß) (bitte HIER klicken!)
Über den Philosophen Josef Seifert (geb. 1945) bei wikipedia (bitte HIER klicken!)
(Hervorhebungen durch Administrator)
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