"Die Heiligkeit ist freilich eine Kategorie, die im gegenwärtigen Denken und Empfinden der Menschen wenig Verständnis findet, sei es die Heiligkeit Mariens, sei es die Heiligkeit der Kirche. Die Kehrseite dieses Phänomens ist die Verständnislosigkeit gegenüber der Sünde, erst recht gegenüber der Erbsünde.
Dem modernen Menschen gerät (1) das Heilige als “der alles übersteigende Wert” mehr und mehr aus dem Blick. Das ist bedingt durch die allgemeine Abwendung von der Transzendenz und die allgemeine Hinwendung zu den empirischen Wirklichkeiten, durch das Schwinden der Dimension des Religiösen, durch einen atmosphärischen Monismus oder Naturalismus, der mehr und mehr die Wirklichkeit bestimmt und der geneigt ist, das Christentum auf Humanität zu reduzieren oder auf seine ethischen Implikationen, was immer man darunter versteht, wenn man nicht gar auch schon darüber hinaus ist.
Zu einem solchen Verständnis des Christentums braucht man auf jeden Fall nicht mehr die Gnade, die Gnade Christi, des Erlösers, die uns im Mariengeheimnis geschenkt worden ist (2). Dann geht es im Christentum schließlich nur noch um ein rein innerweltliches Heil, und die Erlösung besteht dann nur noch in der Verwirklichung der eigenen Möglichkeiten und in der Treue zu sich selbst oder einfach in der Befreiung des Menschen von versklavenden Gesellschaftsformen (3)."
(1) In der sogenannten feministischen Theologie ist die Leugnung der Sünde geradezu programmatisch. Man deklariert sie als Produkt einer patriarchalischen Gesellschaftsordnung oder als eine maskuline Fiktion oder Konstruktion und desavouiert die Unterwerfung des Menschen unter die Gebote Gottes als pathogene Ideologie.
Vgl. Joseph Schumacher, Mariologische Verkündigung vor dem Hintergrund gegenwärtiger Zeitströmungen, in: Anton Ziegenaus, Hrsg., Maria in der Evangelisierung. Beiträge zur mariologischen Prägung der Verkündigung (Mariologische Studien 9), Regensburg 1993, 23 f.
(2) Vgl. Leo Scheffczyk, Die "Unbefleckte Empfängnis" im umgreifenden Zusammenhang des Glaubens (Anm.3), 40 f; Joseph Schumacher (Anm. 48), 13 ff.
(3) Ebd., 14.
Maria, die neue Eva; Foto: Lawrence OP
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