"Um zunächst bei dem Stichwort Reformer/Heiliger anzuknüpfen: Jeder Heilige ist in dem Sinn ein Reformer, daß er die Kirche neu belebt und sie auch reinigt. Aber man versteht ja unter Reformer häufiger Leute, die strukturelle Maßnahmen durchführen und die sich gleichsam im Bereich der Strukturen bewegen. Und da würde ich sagen, die brauchen wir in der Tat im Augenblick nicht so dringend. Was wir wirklich brauchen, sind Menschen, die vom Christentum innerlich erfaßt sind, die es als Glück und als Hoffnung erleben, die dadurch zu Liebenden geworden sind, und das nennen wir dann Heilige.
Die echten Reformer der Kirche, durch die sie wieder einfacher geworden ist und zugleich Zugänge zum Glauben geöffnet hat, waren immer die Heiligen. Man muß nur daran denken, daß Benedikt am Ausgang des Altertums die Lebensform schafft, durch die das Christentum dann durch die Völkerwanderung hindurchgeht. Oder wenn Sie an Franziskus und Dominikus denken – da ist in einer feudalistischen, erstarrenden Kirche ein ganz neuer Aufbruch einer evangelistischen Bewegung, die die Armut des Evangeliums, seine Einfachheit, seine Freude lebt und die dann eine wahre Massenbewegung auslöst.
Oder erinnern wir uns an das 16. Jahrhundert. Das Konzil von Trient war wichtig, aber es konnte als katholische Reform nur durchschlagen, weil es Heilige wie Theresa von Avila, Johannes vom Kreuz, Ignatius von Loyola, Karl Borromäus und viele andere gegeben hat, die einfach wieder vom Glauben innerlich getroffen wurden, die ihn originell auf ihre Weise gelebt haben, ihm Formen geschaffen haben, durch die dann auch die Reformen eingetreten sind, die die notwendigen und die heilenden waren.
Deswegen würde ich auch sagen, jetzt kommen die Reformen bestimmt nicht von Foren und Synoden, die auch ihr Recht und manchmal auch ihre Notwendigkeiten haben, sondern sie werden von überzeugenden Persönlichkeiten kommen, die wir Heilige nennen dürfen."
aus: Joseph Kardinal Ratzinger, Salz der Erde, Christentum und katholische Kirche an der Jahrtausendwende; Ein Gespräch mit Peter Seewald, Seite 220/221; AD 1996; s. Quellen
(Hervorhebungen durch Administrator)
Bild: Giotto (1267-1337); Assisi; Hl. Franz, betend in Portiuncula
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