von P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad
Ist von „Sünden gegen den Glauben“ die Rede, denkt man zunächst an Glaubensabfall, Irrglauben oder Glaubenszweifel. Und tatsächlich, diese Sünden gegen den Glauben sind sehr verbreitet. Vergessen wird aber oft, dass man sich gegen die erste göttliche Tugend nicht nur durch ein Zu-wenig, sondern auch durch ein Zu-viel verfehlen kann.
Zu viel Glauben? Gibt es denn das überhaupt? Sagt nicht Paulus von der Liebe, der höchsten Tugend des Christen: „Sie glaubt alles“ (1Kor 13,7)? Mehr als „alles“ kann man nicht glauben. Folglich scheint ein Übermass an Glaube unmöglich zu sein.
Zur Klärung der Angelegenheit müssen wir uns an die alte Einsicht des Aristoteles erinnern, dass die Tugend jeweils in der Mitte zwischen zwei Extremen liegt. „Mitte“ bedeutet hier nicht laue Mittelmässigkeit, vielmehr intensive und kraftvolle Balance. Bei einigen Tugenden ist das unmittelbar einleuchtend. So hält ein wahrhaft mutiger Mensch die Mitte zwischen Feigheit und Tollkühnheit, und die Tugend der Hoffnung umschifft die gefährlichen Klippen der Verzweiflung auf der einen, der Vermessenheit auf der anderen Seite.
Welches aber ist das Extrem, das im Bereich des Glaubens den Mangelformen von Abfall, Häresie und Zweifel gegenübersteht? Es ist der Aberglaube: die Neigung, nicht nur jenen Wahrheiten vertrauende Zustimmung zu schenken, die das authentische Siegel der göttlichen Offenbarung und der kirchlichen Verkündigung tragen, sondern auch Lehren gläubig anzunehmen, die anderswoher kommen.
Niemand, der wachen Auges die Phänomene unserer Zeit betrachtet, wird verneinen können, dass es an derartigen Lehren und Praktiken nur so wimmelt. Es mag sich um krausen Volksglauben oder um die angeblich „höhere“ Weisheit der Gnostiker und Esoteriker handeln, um spiritistische Rituale und bizarre Engellehren, um zwielichtige Erscheinungen und obskure Wundergurus, um Handleserei, Kartenlegerei und Horoskop, um Furcht vor Freitag dem 13. und schwarzen Katzen – immer wird hier eine Art Glaubensakt vollzogen, der sich nicht auf die Autorität Gottes stützen kann. Dementsprechend gehören auch die Inhalte des Aberglaubens nicht zum Glaubensgut der Kirche, sondern fallen unter die Kategorie „Fabelei, Wahn und Hirngespinst“.
Gerade dadurch aber kann ein christlich verbrämter Aberglaube viele fromme Gemüter becircen; denn weil seine Lehren sich nicht mit dem Verstand ergründen lassen, sehen sie den wirklichen Glaubensgeheimnissen zuweilen bis zum Verwechseln ähnlich und überbieten sie sogar an scheinbarer Übernatürlichkeit. Unter der Voraussetzung, dass der Glaube „das Überzeugtsein von dem, was man nicht sieht“ ist (Hebr 11,1), fühlt sich daher mancher Glaubenswillige geneigt, nicht nur dem Übervernünftigen, sondern auch dem Unvernünftigen zuzustimmen.
Foto: Lawrence OP; Hl. Paulus: 1Kol 1,23 |
Mit dem Aberglauben geht vor allem der heilige Apostel Paulus hart ins Gericht. Beschwörenden Tons warnt er vor „Zeiten, in denen man die gesunde Lehre nicht mehr erträgt, sondern sich nach eigenem Gelüste Lehrer beschafft, um die Ohren zu kitzeln“; dann werde man sich von der Wahrheit abwenden und Fabeleien zuneigen (2 Tim 4,3f.).
Ein „guter Diener Christi“ aber nähre sich „von den Worten des Glaubens und der rechten Lehre“, anstatt sich mit „albernen Altweiberfabeln“ zu befassen (1 Tim 4,6f.). Der heute verbreiteten Schonung lehrmässiger Abirrungen stellt sich der Völkerapostel entgegen, wenn er Titus auffordert: „Weise sie streng zurecht, damit sie im Glauben gesund bleiben!“ (Tit 1,13)
Deshalb also muss wie der Irr-, so auch der Aberglaube bekämpft werden: weil er die Glaubensgesundheit untergräbt. Wir, die „wir nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt sind“ (1 Petr 1,16), sondern dem klar beglaubigten, völlig glaubwürdigen Zeugnis des fleischgewordenen Wortes, dürfen uns nicht herabziehen lassen in die Niederungen von Wahn und Täuschung, Fabelei und Hirngespinst. Solches neben der Wahrheit Gottes zu dulden hiesse letztlich, den „Anführer und Vollender unseres Glaubens, Jesus“ (Hebr 12,2) mit dem „Lügner von Anbeginn“ (Joh 8,44) auf eine Stufe zu stellen, und das sei ferne!
Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
Wunderbarer Beitrag zu diesem Thema! Kurz und "griffig"!
AntwortenLöschenJ.G.